18. Februar 2022

[Gedicht] Das Gewand

 

Das Gewand 

 

I.

 

Matt kritzelt und bläut das Pergament

der trockene Stift. Dann sinken die Händ´.

 

 Es glimmet die Glut, das Holz duftet mild,

es hüllt mich die Wärme; dort draußen stürmt´s wild.

 

Da prasselt der Regen, es peitschet der Ast;

es fauchet der Wind. Hier Ruhe – dort Hast.

 

Drin ruh´n die Gedanken und schlummert das Herz. –

Wie´s Schwere grad leicht wird flammt unruhig die Kerz´.

 

Ein düsterer Meister mit glühendem Blick

stampft draußen durchs Tor mit grausiger Krück!

 

Es schmerzt mir im Haupte, so still wird´s darin.

Die Zeiger, sie stehen, von Uhr und von Sinn.

 

Dann poltert die Pforte: „Öffnet! Laßt ein!

Seid nimmer gelitten im widrigen Sein!“

 

Ich schwanke zur Tür, urgräßlich die Pein.

Ein torfiger Schwall von lebend´ Gebein!

 

Der Richter der Zeiten im ruhlosen Punsch

des Lebens haucht gnädig: „Dein letzter Wunsch?“

 

II.

  

Ich forsche nach Wissen – verwunschen der Tand!

Gepauktes, Gewußtes zerrieseln wie Sand.

 

Gefühl, liegst auch wund? Unstetiger Schund?

Tust auch mir nichts kund nun zur letzten Stund`?

 

Adé ... Muß ich weichen zur ewigen Ruh´?

Wer sollt´ sie betrauern: die eicherne Truh´?

 

Vergossen die Tränen, verflossen das Sehnen;

dahin fällt der Sturmdrang mit wehenden Mähnen.

 

Vernarbt schon die Ritzen von spitziger Kuf´.

Wes´ Geist konnt´s erhitzen, wenn Paroli geboten,

und „Kontra!“ der Ruf?

 

Vergilbet die Seiten! Verhallet das Wort!

Verklungen die Saiten! Verlassen der Ort …

 

III.

  

Da blitzt der Gedanke durchs müdige Hirn:

Dicht´ selbst die Geschichte, biet´ letztmals die Stirn!

 

„Laßt mich jene Zeilen noch schreiben zu Ende!

Auf daß man den Schluß auch geschlossen fände.“

 

Es nickt die Kapuze. Ich eile zum Pult.

Führ´ hastig den Griffel und buhl um Geduld …

  

IV.

 

Der Dichter entrücket, das Nachtgeleucht sinkt;

helldämmernd die Feder den Morgen erzwingt.

 

Neu fliegen die Rosse, ein Reiter mit Schild

im feurigen Wagen: welch kraftvolles Bild!

 

Die Nebel entfliehen, Vulcano tobt aus

das innerste Leben; ergötze Dich – schau´s!

 

Gefall´ner schleicht dunkel hinab von der Bühne –

im nächsten Akt ist er schon Hagen, der Hüne.

 

Im Graben braust´s auf –

wie´s war und gewesen,

was ist und wie´s komme

ist nun hier zu lesen.

  

V.

  

Und wie die Feder das erste Mal fällt –

die Glocke schon nach Acht hin schellt –

ist Niemandsfreund weg,

der´s Dasein  vergällt!

 

Allein an der Wand

hängt noch sein Gewand,

als ob sich´s im Zimmer gefällt;

dem Zweifel die Treue hält ...

 

Mit Hast und voll Argwohn

rauscht´s in den Kamin.

Gebannt schau ich hin:


Da stieben die Funken und hinauf durch den Schlot

entfleuchet ein Rauchpilz, dann löschet der Kien,

die Scheitkohle sackt, und das Feuer ist tot!

 

Versuch´s zu zerknüllen, zerfetzen, zerschneiden

das üble Gewirk; und kann´s doch nicht meiden!

 

Da packt mich die Wut, nun muß ich es wagen:

Ich krempel es auf und pack es am Kragen

und schwing´s  mir kühn um!

  

VI.

  

Es schlägt mir das Herz, ich fühl mich gesunden;

der Geist wird freier denn je.

Sowie vom Sichtkreis ist verschwunden

der Rock ist ferne jedes Weh.

 

So hüll ich´s mir enger,

tret´ fest in den Wald.

Von Ferne ein klapperndes

Frieren erschallt.