Schauen wir nur auf alles, was ich bewegt, gestern wie heute. An Land, im Wasser oder in der Luft. Bahn, Auto, Rad, Bus und LKW, Hubschrauber, Raketen und Magnetschwebebahnen. Fallschirme. Schleudersitze. Katapultstartsysteme. Skier, Matten für Sprungschanzen und Rhönräder. Schraubstollen für Fußballer oder Zehenschuhe. Bei jedem dieser Hauptworte gibt es ungezählte Nebengeschichten und Details. Denn das Fahrrad besteht aus so vielen wichtigen Varianten und Komponenten, die alle erst erdacht, gebaut, getestet und weiterentwickelt werden mußten, bisweilen auch wieder verworfen wurden. Nach dem schlichten Holzrad des Freiherrn von Drais – daher Draisine – kamen die Pedale, die dem Ding den richtigen Schwung gaben. Dann mit dem Schwung die nötige Freilaufnabe von Fichtel und Sachs, dann zur Erhöhung der Geschwindigkeit und Verbesserung des Komforts die verschiedenen Gangschaltungen. Erst einer, dann zwei, dann drei, heute 18 Gänge. Wahlweise in der Nabe, an Kettenblättern oder im Tretlager. Oder kombiniert. Und zum verlangsamen oder anhalten? Scheibenbremsen! Später natürlich angetriebene Räder, heute Pedelec oder E-Bike genannt: Auch sie zwischen Ostsee und Alpen – gerade da! – erfunden und stetig weiterentwickelt. Meistens liegt sowas weiter zurück als man vermutet. Spätestens ab 1900 hat es Räder mit Hilfsantrieb gegeben, mal elektrisch, mal mit Verbrenner. Beispielsweise produzierte DKW in Zschopau von 1919 bis 1921 ein 1-PS-starkes Maschinchen zum Nachrüsten gewöhnlicher Räder, daselbst auf dem Gepäckträger; jahrzehntelang fehlte es für die leichteren und vor allem wartungsärmeren Elektromotoren allerdings noch an starken Batterien. Gleichwohl bequemes Radeln auch so geschehen kann: Man fährt mit Bahn oder Bus den Berg hinauf und hat das muskelgetriebene Leichtradel zusammengeklappt dabei: das kleinste Fahrrad der Welt ist auch eine deutsche Erfindung, trotz seines faden Allerweltsnamens “Handybike”: es wiegt nur 7,7 kg und paßt etwa in eine größere Sporttasche. Oder ins Flugzeug-Handgepäck. Daß Velos ebenso wie Autos stets mit vernünftigem und hellem Licht die Straße vor sich ausleuchten können - besonders dann, wenn es am dringendsten ist, nämlich bei Nässe und auf schlechten Wegen - haben sie Wilfried Schmidt zu verdanken. Der hat nämlich in den Neunziger Jahren brauchbare Nabendynamos entwickelt, wie sie heute in fast allen (Vorder-)Rädern stecken. Vorteil: wartungsarm, schlupfsicher, höher im Wirkungsgrad. Ein erstes Patent für die Idee an sich gab es schon 1913. Und zwar für den Oberbayern Alois Sanladerer und dessen Pläne für den Stromerzeuer in der Achse. Apropos Laden und Strom als auch die schon angesprochenen Batterien. Ihrerseits erneut ein Unterkapitel wert, für die, welche sich ein bißchen für Strom oder Chemie und Physik begeistern können. Ewald Jürgen Georg von Kleist, Jurist und Naturwissenschaftler aus dem preußischen Cammin, stellte am 11. Oktober 1745 seine „Kleist´sche Flasche“ der Öffentlichkeit vor – und die war der erste künstliche Kondensator der Welt. Daß ein mit Metallfolie verkleidetes Glas viel Energie speichern kann, hatte von Kleist gemerkt, als er nach dem Elektrisieren einen Nagel aus der Alkoholfüllung zog: Er bekam just einen mächtigen Schlag, den später so genannten „Kleist´schen Stoß“. Von seinem heutigen Gebrauch – dem Speichern und Puffern von genügend Energie war dieser Stromsammler noch weit entfernt, ebenso als Quelle zielgerichteter elektrischer Versuche. Man nutzte den heimtückischen „Geist aus der Flasche“ zur Volksbelustigung und ergötzte sich an hilflos zuckenden Gliedmaßen. Heute noch bekannt ist das Gefäß als „Leidener Flasche“, da es ein Jahr später unabhängig von Kleist im holländischen Leiden als neue Erfindung vorgestellt wurde.
Um Energie sinnvoll zu speichern, ist das Gerät nicht geeignet. Strom in Flaschen waren also nicht an der Tagesordnung, aber dafür Strom in Säulen – ausgehend von Alessandro Volta, der die nach ihm benannte Voltasche Säule baute. Der italienische Edelmann darf somit als grundlegender Erfinder der Batterie der Neuzeit gelten. Keine zehn Jahre später – 1802 – entwickelte der Schlesier Johann Wilhelm Ritter dessen Türmchen aus Münzen unterschiedlichen Metalls samt Kochsalzlösung oder Schwefelsäure weiter zum ersten Akkumulator, also der ersten wiederaufladbaren Batterie. Techniker sprechen hier von Primär- und Sekundärzellen.
Der Akku-Ritter, von Haus aus übrigens Pharmazeut, sollte auch aus weiteren Gründen als Vorglüher der Elektrochemie gelten. Er formulierte Monate vor Volta und auch korrekter als dieser das Spannungsgesetz. Außerdem erforschte er die Elektrolyse von Wasser und entdeckte den Galvanisationsprozeß. Er nutzte dabei die gleichen Versuchsobjekte zum Galvanisieren wie vorher schon bei seiner Erforschung der Voltaschen Säule, als er herausfinden wollte, was es mit dem positiven und dem negativen Pol auf sich hat: seine Finger. Und seine Zunge. Und den Augapfel. „Kind, Batterien darf man nicht anlecken!“ – den Satz sagt heute vielleicht manche Mutter, Mutter Ritter indes wußte noch nichts davon. Prompt fand ihr Sohn heraus, welcher Pol salzig und welcher säuerlich schmeckt, und welcher rote oder blaue Blitze verursacht.
Grundlegende
Beiträge zur Elektrochemie lieferte auch Theodor Grotthuß, und zwar ohne an
Polen zu lecken. Der Deutsch-Litauer war schon als kleiner Junge an der Uni
Leipzig eingeschrieben. Als junger Mann lieferte er um 1806 die Erklärung für
die Vorgänge zwischen den Elektroden als wechselseitige Oxidation und Reduktion
und legte damit der Elektrolyse den theoretischen Unterbau. Ritter als auch
Grotthuß starben jung, dieser mit 33, jener mit 38 Jahren. Letzterer nicht
durch an Gliedmaßen angelegte Spannung, sondern an sich selbst angelegte Hand.
Der Klever Arzt Josef Sinsteden wurde dafür 88 Jahre alt – und das, obwohl er
lange Zeit mit Blei experimentierte. Er gilt als der Erfinder der Bleiakkus,
wie sie noch heute in den meisten Autos zu finden sind. Der Mainzer Augen- und
Ohrenarzt Carl Gassner wiederum entwickelte eine Trockenbatterie, die man prinzipiell
noch heute als Allzweckbatterie kaufen kann. Deren Vorgänger waren samt und
sonders zu schwer und kurzlebig, denn sie trockneten rasch aus. Gassner
benutzte einen Behälter aus Zink (im Grunde genommen das von Robert Bunsen 1841
erfundene Zink-Kohle-Element) und versiegelte ihn. Das Ganze ließ er sich 1886
in Deutschland, 1887 in den USA patentieren. Berühmt wurde diese Zelle als
Energielieferant für Türklingeln. Noch ein wenig kleiner und damit handlicher
wollte es Paul Schmidt aus Köthen haben. Seine Flachbatterie bekam ihren
Anti-Austrocknungseffekt durch die Zugabe von Mehl zur Elektrolyt-Säure: das
soll sich der Erfinder seiner Frau beim Backen abgeschaut haben. Da Schmidt
auch ein Glühlämpchen aus eigener Fertigung vorzuweisen hatte, lag –
Schwuppdiwupp – die Erfindung der elektrischen Taschenlampe auf oder vielmehr
in der Hand. Als Besitzer des Daimon-Werkes erhielt Schmidt eben darauf das
Patent. Gebaut haben soll er die Leuchte 1896 – und damit vor dem Engländer
David Misell, der dies für das Jahr 1899 für sich in Anspruch nimmt. Paul
Schmidt besaß am Ende seines Lebens rund 50 Patente. Eines davon für eine
kleine, besonders handliche Taschenlampe namens „Handy“. Huch, klingelt da
irgendwas?
Oha! Ein bißchen abgeschwiffen, Pardon. Und das nur beim winzigen Unter-Unterthema Stromspeicher. Dabei wollte ich noch was erzählen über Astronomie und Philosophie und Baukunst, Musik, Haushaltsgeräte, die höchste Kulturdichte weltweit, die meisten und den exotischsten Käse aus Würchwitz, die beste Küche um den Globus mit endlos vielen Rezepten, warum die Welt sich um Sachsen dreht und die heutige Noch-Leitwährung aus Böhmen stammt – Dollar gleich Taler gleich Joachimsthaler. Was das alles mit Pechblende zu tun hat und warum Amerika uns nicht nur Namen und Geld, sondern auch alles andere zu verdanken hat. Wie Jeans, Raumfahrt und Hollywood. Bühnenbau und Tonfilm, Kameratechniken und Beleuchtung, Oberschurken vor der Kamera und Helden dahinter, den Superman und so ziemlich jedes sinnvolle Patent. Und warum die erste Atombombe wohl in Deutschland getestet wurde, und die ersten amerikanischen wie russischen Kernwaffen als auch –antriebe ohne einheimische Tüftler, Techniker und Denker nie zustande gekommen wären. Und nicht ohne deutsches Uran. Selbst das erste amerikanische Auto von 1891, der sogenannte „Nadig Road Wagon“, entstammte dem aus Odernheim ausgewanderten Heinrich Nadig. Den Rest zum Thema Auto dürften Sie kennen: Benz, Daimler, Otto. Wankel und Bosch. Wobei Gottlieb Daimler zugleich das erste Motorrad der Welt schuf. Das alles war so um 1880. Aber noch mal 20 Jahre früher tuckerte bereits ein Mecklenburger namens Siegfried Marcus mit einem selbst zusammengezimmerten Wägelchen mit Ein-Pferdestärken-Benzinmotor durch eine der drei größten deutschsprachigen Städte der Welt: Wien. (Die beiden anderen übrigens: Berlin und New York.) Und im damaligen wie heutigen Auto wiederum stecken ja tausend weitere Erfindungen, von denen 950 zwischen Königsberg, Breslau, Preßburg, Zürich, Straßburg, und, nicht zuletzt, Mitteldeutschland gemacht wurden. Vom mittelalterlichen Krummzapfen im erzgebirgischen Bergbau, Vorläufer der Pleuelstange, über alle Antriebs- und Kraftstoffarten wie Dampf, Strom, Dieselöl und Benzin, zu ABS und LED. Und so weiter, und so weiter.
Ich muß es jetzt sehr kurz auf den Punkt bringen. Warum wir so geistreich, tüchtig und schöpferisch sind? Genau deswegen: Weil wir es schnell auf den Punkt bringen können! Die deutsche Sprache ist präzise, exakt, geschmeidig, ausdrucksstark und beschreibend, elastisch und formschön, allseits unendlich offen und zu allem gut. Deutsch ist die Sprache Deus´, und wenn Gott nicht die Welt erschaffen hätte, ein Deutscher hätte es getan. Dann würde allerdings nicht nur das genaue Schöpfungsdatum feststehen, so wie es uns der anglikanische Bischof James Usher im 17. Jahrhundert übermittelt hat: 23. Oktober im Jahr 4004 vor Christus. Sondern auch die genaue Uhrzeit.
gespeist aus "Deutsche Erfindungen, Spitzenleistungen und Superlative - Warum alle bei uns spionieren", 2023, Tobias Mindner.