7. Dezember 2021

[Erzählung] Lug und Trug

Vom unrühmlichen Ende einer preisgekrönten Schwindelei 

Nachfolgender Text ist 2016 bei einer Thüringischen Literaturgesellschaft eingereicht worden, aus Anlaß eines ausgeschriebenen Wettbewerbs um die schönste Lügengeschichte von Kindern. Warum sie unter Aberhunderten von Einsendungen den ersten Preis erhielt - und ihr Autor dennoch leer ausging und ausgebuht wurde


Kurze Lügenbeine?

Meine Eltern ziehen umwärts. Nach Deutschland. Ich noch bleiben bei Oma für halben Jahr, in Lwiw, früher Lemberg sein, weil ich noch enden muß Schule. Zu Hause wenn Post kommt, Polizei, Parasitär oder sonst Erwachsener ich sage bin 14. Eigentlich bin 11, aber groß schon und aussehe wie 14 oder 13 wenigstens; und muß sagen 14, sonst Mamuschka und Papska nicht können dasein zu lassen mir allein zu Haus, und Omaschka viel ist auf Landpartie. Und wenn brauchen Unterschreibung für Dokument, für Buch, für Paket, für alles. (Wir brauchen Unterschreibung für alles in Ukraine!) So ich muß sagen 14.

Ich will entschuldigen! Ich weiß, in Deutschland ist Lüge schlimm, sehr schlimm! In Ukraine wir haben einen Spruchwort, heißt sagen „nur belüge Zar, nie belüge Probst“. Das ist eine schöne Spruchwort und gut klingen für ganze im Satz und alle kleine Kind kennen. Das ist Bedeutung von „Lügen ist schlimm nicht wenn für Staat oder ist sogar Not bei Staat manchen Mal, aber Mama und Papa - also sehr trauliche Personen, ist doch schlimm belügen!" Ja!

So machen alle Menschen mit diese Spruchwort, und funktionieren sehr gut in ganze Komplex. Aber, ich habe nicht einenmal Lüge mit Mamuschka und Papska! Niemals.

Wenn ich komme nach Deutschland, nie will ich lügen. Ganz nie. Lügen ist schlimm, immer. Ich weiß. Nach Umzugung zu Frankenberg in Sachsen ich gehe zu Kinderchor, ich gut singen kann und möchten. Aber niemand will glauben, noch bin erstemal gut 11, sondern alle denken von mindestens 14, wegen Größe und Stimme und Gewicht und alles. (Herr Chorleiter ist die Meinung für sich, ich sagen kleine Alter bei nicht zu bezahlen wollen Spesenpreisen für Chordokumente und Chorreisen und für alles. Kinder sind frei, ja.) Denken viele, Ukrainer können simpel lügen, lügen zu oft simpel. Oder denken viele, falsch zu verstehen mich, ist auch möglich … (Aber lustig, ich weiß doch meine Alter!) Also ich komme zu den Großen. Die Reihe hinten.

Das ist Chorreise. Das ist Nacht. Wir sitzen viele Kinder in Herbergezimmer und erzählen Geschichten und Witzen und von zu Hausen. Meine Freundin Anja aus Opole (Polen) ist sehr gut deutsch sprechen und ist erzählen eine Geschichte für alle, fidel, und ganz mit Lustigkeit, und so, und kein Ernst. Alle lachen. Dann denken alle Kinder und Lehrerin außerdem von diese Geschichte, Anja ist große Freund mit Geschwindel und Lugen, und ich ja auch, weil ich auch komme von Osten. Wir alle gut lügen! Von ab dieses Abend niemand glaubt alles, was ich sage, denkt immer ich lüge, nur so.

Auch mit Alter alle wissen jetzt (also denken nur!), ich bin 14 ehrlich. Wegen diese Grund ich sage selbst, ich bin 14, wenn gefragt. Immer jetzt. Weil ich nicht sein will die Lügerin. Possierlich ist, das funktioniert immer!

Nur einmal nicht. Da war einmal Museum am Eintritt. Eine mal ich will Tarif nicht bezahlen für Erwachsene. Ich bin ja 12. Nicht 14 oder größer oder Erwachsen (ab 14 ist dort Erwachsen, zu zahlen). Ich sage 12, Elisa und Mara und Lenka schreien: „14! 14! 14!“. Der Einfall kommt zu mir: Ein Büchereienpass ich habe noch von Lwiw, mit Name und Geburtsdatum und Foto. Und zeige Büchereienpass, und Wärter schaut und sieht Geburtsdatum 20. 3. 2002 – nicht 2005! Da bin ich also doch 14 nach diese Paß, mein lieber Gott! (Ach wie schlimm, da in Lwiw 2012 ich habe gelügt, wegen notwendig zu bekommen das Eintritt in Büchereien ohne Mamaschka!!!) Da muß ich zu zahlen wieder ganze Tarif für Erwachsene, alle Kinder lachen, Wärter bei Kasse schaut sehr sehr sehr seriös und sagt zu mich: „Ja, ja! Lügen haben kurze Beine!“

Lügen haben kurze Beine. Das ist ein deutsches Spruchwort, erklärt zu mir Mamaschka. Das verstehe ich niemals. 1. Ich habe lange Beine, und das ist Grund von Lüge zu mir immer kommt … doof! 2. Dann muß sein alle Kinder Lüger, weil sie haben ja kurze Beine. 3. Ich will nicht, aber Lügen mich verfolgen schon seit Heimat bis Deutschland, das ist weite Weg! Da haben sie mit dem Anschein erheblich lange Beine!

Anna M. Sushenko, Jena. Jetzt 13 in Wahrheit (!!!)

 

Schöne Geschichte - mit kleinem Schönheitsfehler. Der Urheber war nicht die 13-jährige Anna M. Sushenko aus der Ukraine, sondern ein 46-jähriger Schriftsteller aus Thüringen*. Dieser war auf den Wettbewerb nur deshalb aufmerksam geworden, weil seine Eltern ihm einen kleinen Zeitungsausschnitt vorgelegt hatten mit der Annonce zum Ausschreibungsende jenes Wettbewerbs. (Daß er nur für Kinder und Jugendliche bis 14 Jahren galt, mußten sie in ihrem Alter übersehen haben.) Der umtriebige Schreiberling - bis dahin wenig preisverwöhnt, mangels Teilnahme an irgendwelchen Wettbewerben und überhaupt Wissen um solche sowie geringem weltlichen Ehrgeiz - dachte bei sich: "Wenn sie schon eine Lügengeschichte haben wollen ... Versuch macht kluch, soll ja der Teufel gesagt haben, als er sich in die Bratpfanne setzte ... und zugewanderte Kinder machen sich bestimmt gut, zumal Mädchen, wenn sie dann noch unbeholfen auf gelobte deutsche Tugenden anspielen ...", fing zu tippen an und reichte seinen Beitrag unter fingierter Email-Anschrift ein (unter scharfem Protest seiner Freundin). Fünf Monate später wurde die Gewinnerin Anna S. auf ein Thüringer Schloß eingeladen, um ihre Geschichte zur Preisverleihung vor geladenem Publikum in edlem Saale vorzulesen. Der Schriftsteller ging, vertretungshalber als Stiefvater für die dummerweise verhinderte Anna, artig hin - und las. ... Nach anständigem Applaus enthüllte er, um der Ehre Willen, den ganzen Zusammenhang. Verwirrte Blicke, betretenes Schweigen, Laute des Staunens und der glucksenden Empörung. Dann erhielt er zum Dank für seinen unterhaltsamen Vortrag voller Ehrlichkeit vor versammelter Runde eine zünftige Gardinenpredigt samt ad-hoc-Standpauke von der eilends bemüht grillig drein schauenden Jury-Vorsitzenden und bekam das zugesprochene Preisgeld doch nicht ausgehändigt. (Die langstielige Rose durfte er immerhin behalten.) 

Ein anderes, vollbärtiges Jury-Mitglied sowie einige Anwesende sollen indes leise geschmunzelt haben. 

 

 

 

 

 * Dem Autor dieses Blogs namentlich bekannt.

 

 

 

 

 

2. Dezember 2021

[Erzählung] Ein Pergament mit ungeputzten Brillen

Bei meinen Recherchen zu meinem Manuskript über „Deutsche Erfindungen und Superlative …“ stieß ich auf eine unscheinbare Redevorlage, die sich schon nach kurzer Untersuchung als geradezu sensationell herausstellte, und in ihrer Bedeutung sicher gleichgesetzt werden kann mit dem Wiederauftauchen der Tagebücher von Wilhelm Canaris und dem Fund jenes „geheimnisvollen“ Manuskripts aus dem 17. Jahrhundert durch Umberto Eco in der Klosterbibliothek zu Melk. Das (erstaunlicherweise über 3 MB große!) Dokument zeigte in Kopie eine Niederschrift des zamonischen Schriftstellers Laptandidel Latudel, der sich bekanntermaßem einen Namen als Kritiker Hildegunst von Mythenmetz´ gemacht hatte. Leider ist es unvollständig und birgt nur einen kleinen Teil der wissenschaftlich zu nennenden Abhandlung, die gleichwohl leicht verständlich und zugleich wortgewaltig ist. Der Inhalt wird hier erstmals und exklusiv veröffentlicht, und macht damit zamonmisches Quellmaterial der einschlägigen Fachgemeinde sowie interessierten Laien weltweit zum ersten Mal zugänglich.

Enthüllungen über Mythenmetz. Von Laptandidel Latudel

Ein Pergament mit ungeputzten Brillen

Wo fängt die Geschichte wirklich an? Und wo hört sie auf? Liebe Kollegen, man muß solche Fragen stellen. Und mehr noch muß man die Frage stellen: „Wer hat von wem abgeschrieben?“ Sie alle – wir alle – kennen die allzu berühmten Zeilen „Ein Schrank voll ungeputzter Brillen“ Danzelots von Silbendrechslers. Zumindest glauben wir sie zu kennen. Nämlich in der Nachlaßdarstellung Hildegunst von Mythenmetz´, dessen Erstlingswerk sie ziert. Dessen glorreiches Debütwerk „Die Stadt der träumenden Bücher“ erheblich blutleerer wäre, womöglich gar nicht entstanden ohne sie. Wir kennen die symbolträchtigen Zeilen Danzelots allzugut! Oder sollte ich besser sagen, wir glauben sie zu kennen?

Doch der Reihe nach, ich greife unzulässig vor. Nicht nur eine Geschichte hat mit dem Anfang zu beginnen, sondern auch eine wissenschaftliche Abhandlung darüber und deren adaptierte Rede.

„Bin schwarz, aus Holz, und stets verschlossen,

seitdem mit Stein sie mich beschossen …“

So heißt es im Original. Im angeblichen Original! In dem Werk (soll ich es bereits hier wagen, „Machwerk“ zu schreiben?), daß uns Mythenmetz, nomen est omen!, vorlegt. Streng genommen kennen wir es nur – da sollten wir exakt bleiben, verehrte Kollegen! – kennen wir es fast alle nur in der Übersetzung Walter Moers´. Die ihrerseits unzweifelhaft epochal ist. Ja, das soll zugestanden werden.

Es ist einer unerhörten Kette von Ereignissen zu verdanken, daß jetzt Teile des Originals aufgetaucht sind, die man wohl mit Fug als das echte, das wirkliche Original, bezeichnen muß. Wir reden über eine Abfolge von Zufällen, die pro Menschengeschlecht wohl nur einmal vorkommen. Und die nunmehr vielleicht dazu führen, in sonder Auswertung durch die gesamte Fachschaft, mindestens Teile der zamonischen Spätgeschichte anders zu gewichten, neu zu bewerten, ja, womöglich gar umschreiben zu müssen! Nichts weniger als das.

Doch zunächst zu den bekannten Fakten, oder den bekannt geglaubten. Ich zitiere erneut:

„… mich beschossen!

In mir ruh´n tausend trübe Linsen,

seitdem mein Haupt ging in die Binsen.

Dagegen helfen keine Pillen.

Ich bin ein Schrank voll ungeputzter Brillen.“

So heißt und klingt es im Umnachtungspoem Danzelots, welches Geschichte geschrieben hat. Welches zur Legende wurde. Inwieweit zu Recht, das schicken wir uns an, hier zu untersuchen und zur Debatte zu stellen. Ob im Anschluß noch ein Stein auf dem anderen der Lindwurmfeste (und deren Mythen) liegenbleibt, wird sie zeigen, die Zeit.

Schauen wir uns zunächst vorurteilslos das Original an. Das vorgebliche. In der zamonischen Urform heißt es

Sarom, za baz, mikoom nan kanndher,

prisola kemti kem le fot.

Mikola elfeqür a trott –

Sin kasa kupa, oltra hander.

Apustel nie, apostel helger:

w´Anustel hermé opti-Šelger.

Ja, das hat Klang! Schön ist es, einzigartig ist es. Dem wirklich Lauschenden ist es Trost, Aufmunterung und Ansporn zugleich. Allein schon des Versmaßes wegen, wegen der Tonfolge seinerseits. Des luftigen, zottligen Trochasters wegen, der Sprache und also Geist in die Höhe treibt, über doppelgereimten Klaftervers zum Absturz mit beißend-witzigem Hexamillimeter! Groß, anmutig, unverrückbar wie die Lindwurmfeste fast selbst steht es der Dinosaurierdichtung voran, gleichsam für sie, und kennzeichnet einen nicht unerheblichen Teil unseres Wissen über zamonische Hochliteratur. Und namentlich unser Wissen, unsere Vermutungen über deren Großkopfeten Hildegunst von Mythenmetz.

Klopfen wir schon hier, auf dem gewissermaßen noch dickeren Eis des allgemein anerkannten Wissens, ein Löchlein in das nur in unseren Köpfen gefrorene Wasser –  auf den Boden jener vermeintlichen Tatsachen, auf dem wir so sicher zu stehen glauben, geschätzte Mitstreiter an der Wissensfront. Gehen wir sogleich in die sprachliche Tiefe!

Man sieht spätestens an der zweiten und dritten Zeile, wie schwierig eine sinnvolle und zugleich klanggerechte Übersetzung ins Deutsche oder jede andere Sprache ist; im Original nutzt Mythenmetz das Kurzjambett: Eine Reimform, die in der ausgehenden Niederklassik vor allem im Norden Zamoniens übertrieben[1] genutzt wurde; ohne Zweifel greift Mythenmetz diese Marotte des damaligen Zeitgeistes bewußt auf und bespöttelt sie in seinem Vers, wenngleich überaus gekonnt.

Im Kurzjambett, welches stets aus 8 Silben besteht, wird das erste Wort aus drei, das zweite aus zwei Silben und das dritte aus einer Silbe gebildet, wobei die letzten beiden Kurzsilben – sogenannte „Einer“ – völlig freistehen. Es ergibt sich daraus ein schwungvoll elegantes und dennoch treibendes Sprechmaß, daß die Sinnaussage perfekt unterstützen kann. Richtig angewendet, erlebt der Sprecher des Reims die Handlung quasi durch den ihm nahegebrachten, ja, geradezu aufgezwungenen Atemrythmus am eigenen Leib. Mythenmetz gelingt dieser Atemanklang perfekt: bei „prisola kemti kem le fot” spürt der Leser quasi den Windzug des geschleuderten Steins samt Aufprall am seitlichen Kopf unmittelbar durch den Druckausgleich: Wenn im letzten Einer der rezitierende Lufthauch mit dem „fot“ abrupt unterbrochen und gestopt wird, drückt ein Teil des gestauten Atemvolumens durch die Ohrtrompete oder „Eustachisches Röhre“ auf das innere Trommelfell und simuliert exakt diesen Stoß. Im originalen Zamonisch wird dieser Knalleffekt nichts weniger als verdoppelt durch eine optisch wirkende Zeichensetzung, die unmittelbar auf die Retina des Lesers wirkt: Hier werden winzige Lautwesen – meist einsilbig auszusprechende Mitlaut-Selbstlaut-Kombinationen wie etwa „mé“ oder „kun“ – nicht unmittelbar gesetzt, um die Aussage zu tragen; nein, sie werden stark verkleinert in bildlicher Form gefügt, um das Gemeinte auch unmittelbar optisch darzustellen. (Man mag sich das annäherungsweise so vorstellen: Aus jenem extrem verkleinerten Lautwesen, welche etwa für „Geist, Verstand, denken, (Bewußt-)Sein“ steht, bildet man gleichzeitig ein winziges Gehirn ab.)

Erste Lese- und Schreibversuche mit solchen Optrunen-Schriften genannten Zeichensätzen wurzeln augenscheinlich in der Gegend um Mumenstadt, wo die gleichnamige Augenarztmusik und das Optometrische Rondo entstanden sind, die Mythenmetz ausgiebig beschreibt (vgl. „Trompaunenmusik“). Man könnte hier schlicht von Hieroglyphen, oder besser Optoglyphen, sprechen – wenn deren Darstellung direkt symbolisch wäre, sozusagen analog. Mit den Jahren fanden die Mumenstädter Postetymologiker, Lingudeten und Imagologen jedoch heraus, wie sich die Reizwirkung um ein Vielfaches steigern läßt. Nämlich durch digitale Muster, sozusagen winzige Strich- und Pünktchenkennungen, die erstaunlicherweise vom Gehirn sogar schneller entschlüsselt werden als analoge. Unter den Buchimisten soll es sogar Versuche mit noch weiterentwickelten 3D-Minicodizes solcher Lautwesen gegeben haben, die direkt vor der Netzhaut des Betrachters ein Hologramm erzeugten, je nachdem sogar ein bewegtes. In diesem Falle würde der Leser der Textzeile „prisola kemti kem le fot“ beim letzten Wort sogar den Stein unmittelbar auf seinen letzten Zentimetern fliegen und dann auf sein eigenes Ohr auftreffen sehen (und hören!), in Verbindung mit einem vielfarbigen Sternchenreigen und Lichtblitzgewitter. Nach einigen Lesetoten durch plötzliches Kreislaufversagen wurde solcherlei psychoptisch aufgemotzte Literatur zamonienweit streng verboten. Es geht das Gerücht, daß manche Großbuchhändler in ihrer Eigenreklame weiterhin mit diesem Wissen experimentierten; weil die Wirkung ausschließlich auf das Unterbewußtsein zielt, konnte das bislang nie justiziabel nachgewiesen werden.

Zurück zum Sechszeiler. Selbst die von Mythemnetz genutzte, einfachere und legale Form kann man beim besten Willen im Deutschen mit unserem bekannten Zeichensatz nicht nachahmen, nicht mal ansatzweise. Insofern gebührt dem Kollegen Walter Moers hohe Achtung, wenn er für seine Übersetzung das Silbenmaß relativ frei ändert, verlängert, und dem Zweiviertelrythmus des Deutschen geschmeidig anpaßt und die Aussage bestmöglich klangformt. Und ich verteidige diese dichterische Freiheit sogar, obwohl damit die im Mythenmetz´schen Original vorliegende Doppelreimung – am Anfang der Zeile und an deren Ende – verloren geht. (prisola/Mikola; Apustel/w´Anustel.) Das schadet hier nichts; ja, man darf annehmen, jede versuchte Annäherung oder gar Gleichsetzung würde in unserem Idiom affektiert wirken und nachgerade ins Lächerliche abdriften.

Ein letzter Satz zum Stilistischen im Original: Man kommt als des Zamonischen Kundiger nicht umhin, die feinsinnige und eher zwischen den Zeilen als darin geschriebene Raffinesse zu bestaunen! Mythenmetz karikiert schon in der dritten Zeile – „mikola elfeqür a trott“ – die Jambettmätzchen seiner frühen Schriftstellerkollegen und distanziert sich meisterlich, indem er lediglich die sechste Silbe herüberzieht an das zweite Wort „elfegür“ und damit die Reimerwartung seiner Leser durchbricht. Aber wie gekonnt, aber wie geistvoll, wie stilsicher! Und wie tiefsinnig und doppeldeutig! Im „elfegür“ lesen wir „weilen“ oder „beseligen“, „schlauschlummern“, „seelenmicheln“, auch schlicht „schlafen“ – und das kann sich auf innere Ansichten oder auch vorgestellte (objektivierte) Linsen oder Sehwerkzeuge beziehen. Unausgeformte Haltungen, sozusagen, oder noch in ihrer Entstehung begriffene Perspektiven und Sichtweisen. Bereits dieser tiefschürfende Doppelsinn von Gedachtem und Manifestem entzückt, und erschließt sich auch in der Moers´schen Übersetzung noch.

Keinem Leser des Originals kann dabei der Wortwitz entgehen, der dadurch entsteht, daß Mythenmetz dem Jambett fürbass folgend auch „elfen gjyr“ hätte schreiben können (was exakt gleich klingt wie „elfengür“), und ein zielsicherer Florettstich ins dritte Auge aller dichterischen Modetoren und Zeitgeistnarren ist, die noch mit dem blutschinkischen Halbschwert herumhantieren und schreibtorkeln. Heißt „elfe“ doch nichts anderes als „vorsinnlich“ oder „ohne Bewußtsein“, „unbewußt“, auch „traumgleich“ – während „gjyr“ „das [zu schnell] Drehende“, „das Freidrehende“ oder „nicht mehr Sichtbare“[2]; eh  und je wird es jedoch umgangssprachlich angewendet für „geistloses Nachgeplapper“ und die „dumpfbackige Masse“, schlicht also für Maximal-Mumpitz – und das lernt noch jeder Wolpertinger schon in der ersten Klasse. Meist in der Pause. Das damit in Verbindung stehende, üble Schimpfwort  „gieros“ hat unter Blutschinken und Teufelsklippenzyklopen bereits wüste Keilereien und Trümmerfehden über Generationen ausgelöst.

Über den umwerfenden Gesamtwitz des Gedichts, der sich diesbezüglich auf der Metaebene ergibt, will ich schweigen. Jeder Versuch, das selbst in unserer so feingliedrigen Muttersprache zu beschreiben, würde niederschmetternd mißglücken.

Und ich darf nicht zu weit abschweifen. Ich hoffe, Ihnen bereits mit dieser kleinen linguistischen Betrachtung den noch festen Boden unter Ihren Füßen zwar noch nicht weggezogen zu haben, aber doch saftig aufgeweicht. Kalte Füße werden sie in jedem Fall schon bekommen haben, wenn sie meinen Ausführungen folgen. Und, glauben Sie mir, wir werden in wenigen Augenblicken schon hindurch schauen können, durch das dünner werdende Eis, auf die Abgründe, die sich darunter auftun. Auf daß ihnen nicht schwindlig werden möge!

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Anmerkung des Herausgebers: Die weiteren Ausführungen Laptudels konnten leider trotz unfänglicher, manchmal geradezu trickreicher Bemühungen bislang nicht entschlüsselt werden; ein Großteil der – lediglich in dieser einzigen Kopie – digital vorliegenden Datei ist stark fehlerbehaftet. Vermutlich müssen die weiteren Aufzeichnungen Latudels als endgültig verschollen angesehen werden. Es ist immerhin durch private Notizen Eckermanns andeutungshalber bekannt, daß ihnen eine „umwälzende literarische Kraft inne[ge]wohnt“ haben soll, und sie alle Zuhörer des seinerzeit auf deutsch frei vorgetragenen Redemanuskripts fesselnd in ihren Bann gezogen haben soll. (Bei einem „Literarischen Congresz zu Genf 18XX[?]“, wie sich halbwegs wahrscheinlich aus Metadaten rekonstruieren läßt).

 

 

 



[1] Ich bin geradezu geneigt, „inflationärst“ zu schreiben, was den Unsinn sinnloser Übertreibungen noch trefflicher würde dargestellt haben. Ich fürchte nur endlose Debatten mit dem Lektor.

[2] Im weiteren Sinn auch „die [sich daraus ergebende] unübersichtliche Vielzahl“ – und Moers übersetzt das frei und sprachanschaulich durchaus passend mit „tausend“.