8. Mai 2018

[Betrachtung] der AbSchluß



Der Ab-Schluß

Es war einmal ein Land, da schlossen die Menschen alles ab, was ihnen gehörte: Fahrräder, Autos, Taschen und Wohnungen. Das war ganz logisch. Schließlich hätte ja jemand das Fahrrad wegnehmen können, und dann wäre es nicht mehr da.

Gleichzeitig schlossen die Menschen in diesem Land auch ihre Mülltonnen ab. Das war ganz logisch, denn schließlich hätte jemand da was hineintun können. Immerhin mußten die Menschen ja nicht nur bezahlen für alles, was sie haben wollten – sondern auch für alles, was sie nicht haben wollten. Den Müll etwa. (Und das Bezahlen wiederum mochte eigentlich keiner so recht.)

Es gab aber auch Dinge, die wurden abgeschlossen, obwohl sie weder mehr noch weniger wurden dadurch, daß jemand anderes sie benutzte. Zum Beispiel das Funknetz – oder WLAN. (Die Menschen nutzten gern Begriffe, die sie schlecht aussprechen und verstehen konnten, weil sie aus Gewohnheit auch ihren Geist verschlossen hielten.) Man hätte dafür, daß jemand anderes ihr Funknetz benutzte, durchaus nicht mehr bezahlen müssen. Allerdings hatte man den Menschen gesagt, daß es gefährlich sein könnte, wenn jemand anderes ihre Funknetze benutzen würde. Denn dann hätte man sie selbst nicht mehr eindeutig als Bösewicht ausfindig machen können, wenn sie beispielsweise etwas Schlimmes mithilfe ihres Funknetzes angestellt hätten, sondern dann womöglich jemand ganz anderes verdächtigt. Und diese ordnende Strafbarkeit wollten sich die Menschen nun nicht nehmen lassen.

Eigentlich war ja keiner wirklich böse. Und so richtig kannte auch keiner jemanden, der böse war. Aber irgendwo da draußen gab es bestimmt Bösewichter, ganz bestimmt! Das mußten irgendwelche anderen, fremden Menschen sein. So stand es jedenfalls immer in der Zeitung. Auf jeden Fall Menschen mit irgendeinem Merkmal von Andersartigkeit. Sagen wir mal: Solche mit rechter Gesinnung. (Die Leute hatten verlernt, auf den Klang der Wörter zu hören. Sonst hätten sie gemerkt, daß Recht und Gerechtigkeit und rechtens ganz feine Sachen sind.) Oder auch welche von woanders her. Oder welche mit anderem Glauben, geringerer Bildung, mehr oder weniger Geld. Oder so ähnlich.

Die Menschen in diesem Land schlossen die Dinge also ab, damit sie nicht weniger würden durch die Benutzung von anderen. Obwohl eigentlich von allem genug da war. Denn die Menschen in diesem Land waren sehr fleißig und regsam. Wenn etwas Dingliches nicht da war, dann fertigten sie es rasch. Und dank vieler Ideen und Fortschritte konnten sie die Dinge auch immer schneller fertigen. Sie waren mittlerweile schon so schnell mit dem Fertigen, daß sie viel mehr herstellten, als sie brauchten. Eigentlich hätten sie aufhören können zu arbeiten. Aber sie liebten das Arbeiten eben. (Manche liebten das Arbeiten auch nicht, aber sie glaubten, arbeiten zu müssen, um an all die Dinge zu kommen, die doch immer schneller und laufend im Überfluß gefertigt wurden und da waren. (Nun, ein bißchen unlogisch war es schon. Aber dafür wenigstens seltsam.)

Das Seltsamste aber war: Die Menschen schlossen nicht nur die Dinge voreinander ab, die durch Benutzung hätte weniger werden können. Oder mehr, wie beim Müll. Oder wo die Mitbenutzung dazu führen könnte, daß man als Bösewicht nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden konnte. Sie schlossen auch jenes voreinander, was nun wirklich von Anfang an im Überfluß vorhanden war. Das von Anfang an nichts kostete; und das sogar mehr wurde durch Mitbenutzung, und letztlich nur Gutwichte erzeugte: Solche Sachen wie Freude und Liebe.

Das war aber doch wiederum ganz logisch. Denn dadurch wurden endlich auch diese zur Mangelware. Damit war das ganze System wieder in Ordnung, verstehbar und irgendwie richtig. Vor allem logisch. Es konnte ja nun doch wirklich nicht angehen, daß irgendwas im Überfluß und kostenlos die ganze Zeit zur Verfügung stand – noch dazu etwas Schönes? Daß einfach jeder bekam, was er wollte, brauchte, mochte, und das einfach so?!

Nein! Niemals! Damit konnte nun wirklich niemand was anfangen ...