21. Mai 2019

[Fabel] Die List des Königs

Die List des Königs


Alle Tiere waren auf einer Lichtung zusammengekommen, um Rat zu halten. Auch Reineke war zugegen. Seit langem schon erschien er freimütig und arglos. Glock, das Hühnchen, hub sogleich Klage gegen ihn an. Nirgendwo sei man mehr geborgborgborgen. Reineke würde alle Pfade verunsichern. „Iiiich habe iiihn lange schon nicht mehr gesehen, das iiiist wahr. Weil er sich geschiiickt versteckt hält, wenn ich des Weges gehe!“ Vetter Schönauge, der Pfau,stimmte ein: „Seit dem furchtbaren Wettstreit mit Isegrimm erscheint er zu jedem Rat – das ist doch ein deutliches Zeichen. Er will uns sicher wiegen und Läuterung vortäuschen.“ Der Hase Lampe müffelte in das gleiche Horn. Auch er wendete sich nur gegen die versammelte Runde und vermied es, Reineke anzuschauen. Die hinteren Reihen verstanden seine Rede nicht, weil er flüsterte. Man sah nur seine hängenden Löffel. Erst als eine Dohle vorne eifrig Zustimmung krähte, wurde er lauter und schwang sich gar zu einer gewissen Kühnheit auf. 


„ ... nur zum Schein gewandelt. Ob er wirklich gut ist, vermag keiner heute zu sagen! Wir müssen aufpassen. Er tarnt sich. Er sollte jeden Tag helfen, Wald und Wiese aufzuräumen. Er soll immer eine Glocke am Hals tragen, damit jeder ihn hören kann bei seinen Schlichen.“



Nach weiteren Vorträgen wider Reineke erteilte der König dem Angeschuldigten das Wort. Der Fuchs schwieg. Sein Vetter Grimmbart bat indes um Stimme. „Kein Hühnchen und kein Hähnchen, kein Hasenohr noch Mäuseschwänzchen hat er angerührt. Niemand ist zu schaden durch ihn gekommen. Heilig fastet er und bildet sich weiter. Als Klausner nährt er sich allein von Kunst und Dichtung – von Büchern. Ich war lange bei ihm, ich stehe für ihn ein.“



„Du bist mit ihm verwandt. Deine Bürgschaft ist wertlos!“, keifte der Affe.


„Was sind denn das für Bücher?“, polterte der Esel. „Was steht denn drin? Sind sie überhaupt erlaubt? Iii-ahh!“ 


„Warum verteidigst Du ihn?!“, meckerte die Ziege. „Willst Du von Deinen Taten ablenken? Bist wohl selbst ein Schlimmer?!"



„Pack schlägt sich, Pack verträgt sich!“, blökte das Schaf. „Sie sind beide intolerant!“ 



Mehrere forderten lautstark Redeverbot für den Dachs. Der rechtsgelehrte Rabe, die Geschichte mit dem Käse noch gut in Erinnerung, forderte scheinbar ruhig und spitzfindig: 



„Seine Schuld können wir nicht beweisen. Beweisbar ist jedoch, daß Reineke immer wieder Unfrieden verursacht. Wir sehen es auf dieser Versammlung hier. In einem höheren Sinne ist er dadurch schuldig.“ Er blinzelte durch die Brille und setzte ernst hinzu: 



„Gerade wir Demokraten können nicht zulassen, das wenige die Freiheit ...“



„Sie sollen beide gehängt werden! Damit wir alle für immer Ruhe und Frieden haben!“, forderte darauf ein Chor. 



Nobel, der Löwe, gebot Ruhe. Mit seinen Herren zog er sich zur Beratschlagung zurück. Was tun? Der Frieden im Reich schien abermals in Gefahr. Wenige stachelten gegen den Fuchs auf, obwohl sie tatsächlich nichts vorzuweisen hatten. Viele schwiegen dazu wohlwollend, weil sie Reineke gern als Büßer gesehen hätten; so mancher war froh, von sich selbst abgelenkt und für seine eigenen Missetaten einen Sündenbock gefunden zu haben. Einzelne sprachen für ihn – sie wurden nicht ernstgenommen. 



´Spreche ich Reineke frei, bleiben die Unruhen bestehen. Verurteile ich ihn, mache ich mich der Rechtsbeugung schuldig.´ Nobel überlegte, sein Schweif fuhr ungesehen in die Luft und peitschte gegen den Boden.



Dann trat er vor das Volk und strich sich würdig den Pelz. 



„Es scheint, daß Reineke Fuchs sich schuldig gemacht hat, da er den Landfrieden stört. Ich werde ihn daher an meinen Hof nehmen: Er soll mein persönlicher Ratgeber werden! So werde ich über seine Tugend wachen.“



Der Reichstag war beendet. Die Tiere zerstreuten sich, unbesorgt. Glock schnatterte aufgeregt auf dem Heimweg mit Lampes Weib, was noch nie vorher geschehen war; der Esel freute sich über seine geistige Größe, nur über die etwaige Tadeligkeit von Büchern laut nachgedacht zu haben; der Affe turnte eitel Mätzchen unter Bewunderung von Krähe und Ziege; letztere froh war, lediglich gegen den Dachs gemeckert zu haben. 



Nur der gelehrte Rabe schlurfte mürrisch krächzend davon.