England, 2.0
Die Briten sind anders. Anders als die anderen Kinder. Das weiß im Grunde jedes Kind. Sie interessieren sich nur für sich. Anstatt für uns. Jes, Sir. Für die Briten gibt es zwar ein kontinentales Europa, irgendwo da hinten im Osten, aber das besteht im Wesentlichen aus Frankreich und dem ganzen Rest. Wenn wir als Deutsche die Briten auf uns aufmerksam machen wollen, müssen wir schon Polen überfallen.
Ungeachteterweise des Umstands, daß die Briten ihrerseits gern mal jemandem den Krieg erklären – und wenn vorzugsweise Deutschland dafür nicht in Frage kommt, dann eben Argentinien, Irak, Afghanistan oder Libyen – sind sie ziemlich selbstgenügsam, höflich, putzig und liebevoll. Zumindest zu und mit sich selbst. Das spiegelt sich in den wunderbar süßen Speisen, die sie sich zu jeder Gelegenheit gönnen, als da sind (chief filled) handmade cakes, marmeladenreiche Süßbrötchen und creamy tea; den Puddings und Toffees und Caramel-Fudges; ihre obligatorischen Spiegeleier zum Breakfast gegen Zehn sind in der Pfanne auf Wasser gekocht, der angeblich gesundheitsschädlichem, aber doch so köstlichem braunen Kruste beim Braten wegen. (Wird durch „Braune Soße“ wettgemacht. Aber wie ist das eigentlich mit dem Kaffee? Wird der nicht eigens knusprig braun bis kurz vor die Verkohlung geröstet, des dann wunderbaren Aromas wegen?) Es spiegelt sich auch in der freundlichen Art, einerseits niemandem zu nahe zu treten in der Öffentlichkeit oder gar seinem privatem Raum; gleichwohl bei aller Gelegenheit manierlich zu grüßen und ein paar nette Sätze lang Konversation zu betreiben, oder zum Tee einzuladen. Ausländer, die auf die Insel kommen, um Englisch zu sprechen, sind bei den Briten gern gesehen und werden zuvorkommend behandelt. Nicht englisch sprechende Menschen oder Länder, die womöglich nichts mit England zu tun haben, wie Schottland oder Irland, ignorieren sie dagegen noch nicht mal. Was die Briten etwa Afghanen und Irakern an Respekt versagen, zollen sie dafür ihren geliebten Hunden und Katzen an schmusiger Aufmerksamkeit.
Jes, sie sind wirklich nett. Sehr nett. Eine der freundlichsten und wahrhaft übernehmens-wertesten Floskeln ist: „You´re welcome!“. Wortwörtlich also: „Sie sind willkommen“. Das nimmt einen, oft gehört, wirklich ein. Am meisten übrigens so lange, wie man nicht weiß, auf welche Weise es sinngemäß gebraucht wird: nämlich für „gern geschehen“. Aber auch das ist allemal noch nett. Des besseren Einprägung und des Lerneffekts wegen werde ich es mehrfach in diesem Reisebericht so oder so wiederholen. Your welcome – gern geschehen.
Auch das Auf-der-linken-Seite-fahren ist überhaupt nicht schwer, wenn man vom Beachten der Vorfahrt und dem Einordnen absieht. Und eine „Pinte“ Bier zu trinken ist wirklich besser als ein Halbes. Zumindest ist es mehr. [Nämlich 0,568 Liter.]. Und das Bier ist meist gar nicht so schlecht. Nicht so schlecht jedenfalls wie das in Ungarn. Von ordentlicher Drehzahl (etwa im Gegensatz zu Schweden, wo es nur staatlich verordnetes Dünnbier mit maximal 2,9 Prozent gibt, und das lediglich auf Rezept), süffigem Geschmack und bisweilen elegant dunkel-irdener Farbe. Nach guter Tradition, die ich selbst schuf, trank ich jeden Abend eine anderes einheimisches Ale, Lager oder Bitter, und war selten enttäuscht. Und guten Durst hatte ich ja bereits mitgebracht. So zögerte ich nicht, bei der Fährüberfahrt rückwärts die letzten 15 Pfund in 12 Kilo bzw. Food umzurubeln: nämlich in eine Mannschaftspackung zu 24 Bierdosen zu investieren. [Mit den englischen Maßen ist es schwierig, und ich habe noch nicht ganz durchgesehen. Die festen Lebensmittel verkaufen sie meist in „Meilen“ oder „Sets“, das flüssigen werden aber als „Food“ oder „Foot“ verkauft.] Das sollte mir auch das lästige Suchen nach allerlei weiteren Mitbringseln für die Daheimgebliebenen abnehmen. (Ich verteile und verschenke als Bierfreund ohnedies stets Bier aus aller Welt zu Hause, in der gleichen stabilen und selbstgenügsamen Gewohnheit wie Obelix Hinkelsteine zu anderer Leute Geburtstag. Eine meiner äußerst seltenen Stetigkeiten.) Ich hatte die Sorte jenes "English Fine Ale“ zu 65 Cent pro Büchse vorab leider nicht gekostet. Es war der völlige Reinfall samt üppigem Metallabfall, und statt „Gefallen“ fällt mir dabei eher „Umfallen“ und schlimmstenfalls „Durchfall“ ein. Also short and good, man kann es wirklich nur samt und sonders verschenken. You´re welcome. Im Einklang mit der feinen englischen Art stelle ich die Marke namens „Old Speckels Hen“ (Igitt!) natürlich nicht bloß.
Ich bin also beim Bier gelinkt worden. Zum Ausgleich dafür habe ich wenigstens einen Übergang zum nochmals anzusprechenden Linksverkehr in England: Die Leute laufen auch eher auf der linken Seite aneinander vorbei, im Gegensatz zu uns. Ich frage mich also, was zuerst da war: das linkische Gefühl, gefolgt vom Verkehr, oder erst der Verkehr, der sie ein bißchen andersherum strickte? [Aber was soll das lästern? Auch bei uns wimmelt es ja zunehmend von ziemlich linken Gestalten und Dingern!] Daß es übrigens auch mehr Linkshänder hier gebe, gilt als unbewiesen.
Bleiben wir beim linken Verkehr, dem anscheinend auch die Briten selbst nicht hundertprozentig vertrauen. Deswegen haben ihre Autos gelbe und weiße Nummernschilder. Die weißen vorn, die gelben hinten. Das habe also den Vorteil, wie mir ein Eingeborener erklärte, daß man wenigstens am Kennzeichen sicher sähe, ob das Auto auf einen zukomme – you´re welcome – oder von einem wegfahre. Und ich weiß bis heute nicht, ob das Problem wegen des britischen Biers besteht oder wegen der, äh, britischen Autos. Huaahhhaha. No, Sir!
Was mich wirklich beeindruckt hat, war eine Leuchttafel an der Autobahn, die just direkt vor einer Ausfahrt anzeigte, wie lang der Stau ab hier noch sei, nämlich 1,5 penny per hour. (Wenn ich das richtig lesen konnte im Vorbeifahren.) Gute Idee!
Das Schönste an Britannien ist: Wenn man mal mit seiner Muttersprache irgendwo nicht weiterkommt, kann man jederzeit auf Englisch ausweichen – das verstehen hier ziemlich viele. Oder zumindest sind sie so höflich, sich nicht anmerken zu lassen, daß sie es nicht verstehen. Ich für meinen Teil kann von keinen schlechten Erfahrungen berichten. Allerdings beträgt mein Englisch auch schon 86,5 miles per gallon, daß sind umgerechnet gut und gerne 2000 Quadratfuß im Durchmesser. So ungefähr.
Stichwort Sprache: Die beiden ausgesuchten Lieblingswörter eines jeden echten Engländers sind „huge“ (gesprochen: „juuusch“), was so viel wie „großartig“ oder „riesig“ heißt, und „amazing“ (gesprochen: „ämäising“), was ungefähr „verblüffend“ oder „erstaunlich“ bedeutet. Sie benutzen diese beiden huge Wörter wirklich amazing oft. Jeder Ausländer kann mit diesen beiden Wörtern sowie „ssänk ju“ und „orlreit“ bequem durch das ganze Land reisen. Und auch alles verstehen sowie beantworten. Sämtliche Begeisterungfähigkeit und jegliche Art von maximalem Ausdruck in der Stimme, also Betonung, stecken in einem bis an den Horizont gedehnten „its ämäääääsing!“, das dann ob seiner Größe bereits „juuusch“ ist.
Die Größe lieben sie ohnedies. Deswegen nennen sie ihr Eng-Land ja auch lieber "Groß-Britannien". (Warum lieben sie dann eigentlich nicht unser schönes Deutschland?) Tüten mit Kartoffelchips gibt es hier, die würden bei uns als ganze Säcke für ganze Kartoffeln verwendet; Brauseflaschen, aus denen eine zwanzigköpfige Familie zwei Wochen trinken kann. Natürlich nur mit zwischenzeitlichem Nachfüllen.
England ist perfekt für einen Bildungsurlaub, eine Studienreise, eine Sprachreise. Die durchaus vielfältigen Sehenswürdigkeiten wie Burgen, Castles, mittelalterliche Wehranlagen und Festungen sind einerseits gut ausgeschildert. Andererseits gibt es keinerlei attraktive Frauen, die einen ablenken würden in seiner Betrachtung. In der gesamten Zeit, die ich auf der Insel verweilte, habe ich unter Tausenden Gesichtern genau zwei attraktive weibliche Wesen gesehen. Das eine, ein Mädchen, war aus Thüringen. (Zufällig genau dasjenige, wegen dessen ich die Reise angetreten hatte.) Das andere, eine blonde Frau, die ich tatsächlich im Garten Eden [das „Eden Project“: Eine Sehenswürdigkeit in Cromwell, die die Engländer für weltbedeutend halten. Eine Art „Bundesgartenschau auf Dauer“ in einer alten – rekultivierten – Tongrube, dessen wirklich beeindruckendste Attraktion ein sehr originell gebautes, riesiges Tropenhaus voller Regenwald ist. Dabei regnet es in England gerade genug.] sah, schaffte ich zwei Minuten lang unauffällig in der Menschenmenge zu beobachten, zu verfolgen und heimlich zu fotografieren [es gibt gewisse Indizien dafür, daß sie es mit mir genauso gemacht hat]: Es dürfte mit der allergrößten Wahrscheinlichkeit aber keine Engländerin gewesen sein – ich hörte sie nämlich in all der Zeit kein einziges Mal „huge“ oder „amazing“ sagen. Wenn also unter Tausenden von Frauen gefühlt keine einzige hübsche ist, dann kann man mathematisch formulieren: Die Wahrscheinlichkeit, unter den Britinnen ein anziehendes weibliches Wesen zu entdecken, liegt nur knapp unter 0,0000 Promille. Eines mit Rock zu treffen, liegt bei 46 Prozent, und ein barockes bei 100. Salopp - "sloppy" - formuliert, sind englische Frauen wirklich reichlich da. Nahezu alle englischen Frauen spätestens ab dem 21. Lebensjahr, also ab Erlangung der vollen Geschlechtsreife, wiegen wenigstens 70 Qartertons je Elle. Das ist sogar gesetzlich vorgeschrieben, und wenn nicht, dann im umgekehrten Falle verboten.
[Für Sprachprofis und Ethnologen: Nicht umsonst wird „right“ (Recht) und „weight“ (Gewicht) so ähnlich geschrieben und gesprochen. Im Gewicht steckt wiederum die „eight“ schon mit drin, was ja die Vollendung allen Seins ebenso wie die weibliche Figur beschreibt.]
Was ich oft hörte über die Briten, ist, daß sie furchtbar überwacht würden von ihrem eigenen Staat. Das finde ich nicht bestätigt. Zumindest in dem mehr oder weniger ländlichen Süden und Südwesten habe ich die Polizei nicht öfter gesehen als auf dem Mond (auch wenn ich dort noch nie gewesen bin, gut, aber gewiß annehme, es gibt keine. Die meisten Menschen glauben ja auch nur, in China äßen sie Hunde und würde Chinesisch gesprochen, ohne je dort gewesen zu sein – so hat halt jeder seine Wahrheiten). Auch Radarkontrollen sind selten und gut ausgeschildert; und wenn man dann doch von den angenehm auffällig gelben Radarkästen geblitzt würde, dann von hinten und nicht so erschreckend wie bei uns von vorn. [Die letzten Zeilen war ich unter dem Einfluß der überall lauernden Polizei gezwungen zu schreiben. Das Kleingedruckte dieser Fußnote wird den allgegenwärtigen Kameras samt deren Schriftauswertungsprogrammen gottlob entgehen.] Schilder sind, überhaupt, sparsamer dosiert, und nicht selten in sehr freundlich in Worten gefaßt, etwa: „Please drive slow and carefully – bitte fahren langsam und [wie ´mit] Karre voll“, sinngemäß also „wie mit vollem Auto, etwa mit vielen Hüten, und deswegen behutsam“, und prompt zwei Meilen weiter: „Danke für Ihr langsames Fahren und die Rücksicht“. Das nenne ich verständnisvoll und konziliant. Im wörtlichen Sinne umgänglich sind auch die Kreisverkehre, „turn arounds“, welche noch zahlreicher sind als bei uns die Ampeln. Ich weiß, das ist nicht möglich, no, Sir! Aber in England geht so manches Unmögliche – lassen wir die Wertung dessen dabei außen vor.
Wegen der vielen Kreisverkehre drehen sich nicht nur die Engländer, sondern auch all ihre Themen immer wieder um sich selbst – erstens um England, zweitens Großbritanien und drittens das sogenannte Vereinigte Königreich (sie nennen das „Ju Käi“) – weil sie gar nicht weiter als 250 Gallonen geradeaus oder vorausschauen können, über den Tellerrand ihrer Inselkreisel. Diese Tellerthemen beinhalten dann tatsächlich neben dem Essen (sorry, no comment!!!) noch die zwei anderen Dinge, die man hier für typisch „britisch“ hält: Sport und Wetter. Ersteres faltet sich wiederum in Cricket und Fußball (haha!) auf, letzteres in überraschenden Regen aus heiterem Himmel: Landregen oder Sprühregen. Gerüchten zufolge gibt es in England zumindest unter Kennern mindestens 86 Begriffe für das, was wir „Niederschlag“ nennen. Es steht ohne Zweifel fest, daß die Engländer genau deswegen das berühmte Tee-Ritual samt zugehöriger Konversation, also das gepflegte Gespräch über Nichts, erfunden haben: weil sie nie im Freien spielen können! Nicht anders ist es ja bei uns mit den sturmgebeutelten Ostfriesen, die allerdings noch eine verfeinerte Variante dessen kultivierten, in doppelter Hinsicht: Die Milch zum „Teej“ wird kunstvoll in die Tasse fallen gelassen, auf daß sich der Schwapp als „Blume“ entfaltet; und das gehobene Gespräch über das Nichts wird gleich vollends wortlos geführt. Denn Teelöffel sind silber, Schweigen ist Gold. Oder reden ist schweigen, und Silber ist Gold. Je, nachdem.
Das Thema „englische Küche“ erübrigt sich von selbst. Eier, Schinken, warme Backbohnen; Tee und Backteilchen; Fish and Chips, Burger und Pizza; ferner Backbuchteln mit Fleischfüllung und Würgeanteil. Nicht von ungefähr heißt „back“ auch „links“, also verkehrt, in der Seemannsprache; und was es in der Sprache der Landratten bedeutet, will ich beim Thema Essen gar nicht genauer ausdeuten. No, sir.
Die größte Supermarktkette in England heißt „Tesco“. Dort gibt es neben den erwähnten Köstlichkeiten neuerdings auch Selbstzahl-Kassen. Man hält einfach alles, was man im Korb hat, höchstselbst unter den Strichleser oder Scanner, und legt es dann zum Gewichtsabgleich in die bereits daneben aufgespannte Tüte. Nachdem alles eingelesen und ggfs. eingewogen ist, wie bei frischem Gemüse [Sowas wird hier aber nie gekauft. Und wenn doch, dann sind es saure Schoten, "mixed pickels" - Name ist Programm], bekommt man auf dem Bildschirm den zu bezahlenden Betrag angezeigt und zahlt mit Karte oder „cash“; selbsttätige Wechselgeldrückgabe eingeschlossen. Eine feine Sache, die sich gewißlich durchsetzt, besonders beim Kondomkauf. Man darf sich allerdings durch die eingesparten Verkäuferinnen [Ihrem geliebten Smalltalk tun sie damit nichts Gutes.] und den Mehraufwand nicht erhoffen, das Brot würde billiger. Allenfalls wird es nicht teurer. Vorerst. Sagte ich Brot? Um präzise zu bleiben: labriges Weizengebäck, welches vor allem aus abgekühler Luft besteht und entfärbtem Schaum, also quasi wie Seifenblasen ohne Seife.
Das ist genau das, was in Deutschland den Rundfunk ausmacht, ob privat oder quasi-staatlich. „Staatlich“ dürfte gerade ich als studierter Journalist den Rundfunk natürlich niemals nennen, es müsse bekanntlich „öffentlich-rechtlich“ heißen. Aber was soll das bedeuten? Ein Rundfunk, der öffentlich ist? Huch – das hat´s ja noch nicht gegeben! Und rechtlich? Also wäre der private rechtlos? Alles Quatsch mit Birnentunke. Er ist staatlich, in jeder Beziehung. Und staatstragend, weil im Wesentlichen durch tausenderlei Verquickung das Organ des Staates oder der jeweiligen Regierung: nicht viel besser als zu DDR-Zeiten jede beliebige Gazette neben dem „Neuen Deutschland“, der offiziellen Regierungsfanfare. Und genauso ineffizient, seelenlos, plump und bürokratisch wie eben „der Staat“. Die politische Vielfalt beispielsweise überspannt die ganze Palette des Regenbogens von dunkelorange bis mittelrot. Und Rede und Gegenrede bei sogenannten „Expertenrunden“ – eher Expertenvierecke oder besser noch –zweiecke – gibt es höchstens bei atomisierten Nebenthemen („Wir wollen heute die aktuelle Frage besprechen, liebe Zuhörer, ob die Schlesische Senfgurke wirklich gesundheitsfördernd ist, oder aber evolutionär doch von mediterranen Vorfahren abstammt. – Steigen wir gleich voll ein: Professor Kübelböck, ist der Begriff ´Schlesische Senfgurke´ überhaupt noch zeitgemäß? Darf man das so noch sagen?“) Vom Privatfernsehen und Rundfunk sei gar nicht erst zu reden. Dessen komplett ungenierte und ungeniöse Inhaltsleere voll geistigen Huflattichs mit Wildrahaberauszügen, in der Darreichungsform Urwaldgeschrei, ist eine Beleidigung jedes Pantoffeltierchens. Das betrifft den Wortanteil; der Musikbereich ist eh und Gottseidank zu 115 Prozent auf Englisch.
In England ist das mit der Musik zwar genauso. Aber die bei BBC geführten Debatten sind ob ihrer Tiefsinnigkeit und Meinungsvielfalt unbedingt hervorzuheben. Das werden keine kleinen Brötchen mit labrigem Weizengebäck gelutscht, sondern geistiges Vollkornbrot geschrotet, zermalmt und verdaut. Und das ist so feinem und gutem Englisch, daß einem selbst als nativen und kaltgepreßtem Deutschsprecher noch genügend Nahrhaftes zwischen den Kiemen hängenbleibt. Wollten die deutschen Plappermäulchen in Bild und Ton doch lieber an der englischen Kleiderpuppe statt deren Gewande Maß nehmen, sich des deftigen Inhalts mehr befleißigen denn des angelsächsischen Idioms! Geklagt sei´s! Notwendig und nützlich wär´s! Jes, Sir.
Zurück nach dem Land der Teetrinker ohne -beutel. Was ich ebenfalls für schick und nützlich halte, sind Schuluniformen. Mindestens in der Oberstufe tragen die Jungs dazu sogar Krawatten, was nicht nur optisch einiges hermacht und von der Gesamterscheinung angenehm korrigiert. (Auch wenn es in Wahrheit gar keine Krawatten sind, sondern nur Schlipse.) Eine Schuluniform ist auch preiswert – dieses Jahr bietet eben „Tesco“ eine solche, die für das Alter von Acht bis Dreizehn vorgesehen ist (und im besten Fall auch genügt), für weniger als vier Barrel an, also knapp fünf Euro. Die Zeitung, der ich diese Angebotsmeldung entnehme, zitiert den Großhändler selbst mit den für die Stabilität dieser Schulkleidung werbenden Worten: „Nicht nur preiswert, sondern auch geprüft auf Schweiß und Tränen; ferner kratz-, reiß- und beißfest.“ Wahrlich, wahrlich! You´re welcome.
Wie bereits eingangs erwähnt, haben die Briten ein christliches Problem. Die meisten Engländer sind weder römisch-katholisch noch methodistisch geformt oder reformiert, sondern anglikanisch. [Auf gut deutsch offenbart diese feinsinnige Untergliederung, daß die englische Kirche englisch ist.] Und das deutet bereits auf den Balken im eigenen Auge hin. So wie die meisten Völker und auch Personen, reden sie bei angenehmen Dingen wie Erfindungen und Kulturtaten gern von sich im Konkreten, und bei weniger angenehmen wie Krieg und dem Treibhauseffekt von der Menschheit im Allgemeinen. Ein Beispiel aus jenem Natur-Kultur-Garten „Eden“ illustriert das hübsch: Zusammengefaßt fand ich dort zum Thema „Gummi“ zu lesen: Den entscheidenden Durchbruch bei der Nutzung des Kautschuks, die Vulkanisation, habe ein Engländer zuwege gebracht. Die daraufhin folgende Abholzung der tropischen Wälder und die Knechtung tausender Ureinwohner in den Kautschuk-Farmen der Kolonien ginge indes auf das Konto „führender Industrienationen“. Die Erfindung des künstlichen Gummis, des BUNAs, well, wird zwar Deutschland zugerechnet. Aber das hat freilich nichts mit Schonung der Umwelt und verminderter Knechtschaft der Völker zutun, sondern mit dem Zwang aus alliierter Handelsblockade und eigens zum Kriegsnutzen. (Nicht etwa: Kriegsblockade und Handelsnutzen!) Und, freilich, BUNA sei halt doch nur von geringer Güte gewesen; Kunstgummi in hoher Qualität sei erst nach dem Kriege von anglo-amerikanischen Forschern entwickelt worden [Zweifellos ent-wickelten vorher jene Forscher erst mal die geklauten 70 000 deutschen Patentschriften, einschließlich der für Kunstgummi.]
No, Sir, das ist unfein, höchst unplaesant, hier muß ich den Briten energisch in die Pferdeparade fahren: einseitige Geschichtsdarstellung! Aber gut, das Verdienst, den Radiergummi erfunden zu haben (indem er schlicht Naturkautschuk als dafür geeignet fand), geht auf den Briten Arthur Wellesley zurück, der wiederum ferner noch entdeckte: „Geschichte ist die Lüge, auf die man sich geeinigt hat.“ You´re welcome. That´s huuuuge!
Alles hat eben zwei Seiten, at least. Auch das omnipräsente Thema Umweltschutz. Es wird auf dem Eiland amazing viel darüber theoretisiert. Was die praktische Mülltrennung betrifft oder auch den sparsamen Umgang mit Vorräten, so gibt es noch üppige Vorräte zu entdecken und noch allerhand zu trennen – etwa Flüssiges von Überflüssigem. Nicht wenige Lebensmittel enthalten bereits fest aufgedruckt den Hinweis: „Buy 5, get 6“ – also grob übersetzt: „Kauf 5, bezahl 7“ [Umweltverschmutzung durch sinnlosen Verbrauch mit eingerechnet.]
Was man ja immer mitbezahlt, ob man will oder nicht, ist aufopfernde Fürsorge durch den Staat samt Polizei. Selbst wenn man schon groß ist. Jes, Sir. Wenn ich mir überlege, wie oft ich in meinem Leben bereits von Polizisten, Ordnungshütern oder selbsternannten Sittenwächtern, sagen wir es wohlgeformt, äh, bedacht wurde mit, äh, Aufmerksamkeit, und wie selten von Sittenstrolchen, Ordnungsvergehern oder Spitzbuben, frage ich mich ernsthaft, was von beiden das größere, äh, sagen wir es wohlgeformt, ähem, Ereignis darstellt. In England hatte ich nun die ganze Zeit mit den beflissenen Herren in den schrillgelben Warnwesten nichts, aber auch gar nichts zu tun; sogar der Zoll ließ mich ohne weiteres hin, durch und zurück (trotz meines gewaltigen, Maul- und Klauenseuchen verdächtigen Biervorrats – huge!). So konnte ich gewärtigen, zumindest auf der Heimfahrt noch ein kleines Meeting mit der Staatsmacht zu haben, aller Wahrscheinlichkeit jeglicher Reiseerfahrung nach. Das Schicksal loss mich diesbezüglich noch selten im Stich, bzw. ließ mich im Skat. Und richtig … Nachdem ich mitten in der dunkelsten Nachtstunderecht [welche Mitte Juni gar nicht sehr dunkel, weil kurz ist: denn lang dunkel ist natürlich mehr dunkel als kurz dunkel – rein rechnerisch jetzt – auch wenn genauso dunkel] müde von der Fähre nach Dünkirchen kam, suchte ich mir dann ein Stellplätzchen für mein Auto und mich auf einem abseitigen Feldweg, so wie alle Male zuvor in Deutschland, Frankreich und England. Nur diesmal irgendwo in Belgien [also war statt eines Meetings mit der Polizei eher zu erwarten ein „Tete-a-Tete“ oder eine „Afspraak“]. Nun sind kleine Länder, vor allem, wenn sie Flandern heißen oder Wallonien, stets bedroht, überrannt zu werden, ob nun neutral oder nicht. (Wobei man das mit der Neutralität eh nur als künftiger Verlierer genau nehmen sollte. Erstaunlicherweise fanden die deutschen Soldaten, als sie das letzte Mal in das wunderbar neutrale Belgien auf ein Trappisten-Schlückchen vorbeischauten, ihre zuvorkommenden Kollegen aus Frankreich und Britannien ja bereits reichlich am Zapfhahn vor.) Man kennt das. Und also sind diese atlantischen Sand- und Strandgärtchen und umzäunten Großbeete stets auf der Hut. Als ich es mir gegen halb Drei mit dem Schlafsack im Auto gemütlich mache, habe ich die alberne, aber durchaus hellsichtige Vision, zwei belgische Büttel stünden samt ihrem Wagen plötzlich vor mir und fragten nach Wohin und Warum? Als ich dann gegen halb Acht geweckt werde durch Stimmen: Sieh da, sieh da, genau so ist es! Zwei belgische Büttel fragen mich mittrauisch nach Wohin und Warum? "Kein Panik", beruhige ich sie, ich sei auf Transit und es habe diesmal ausschließlich mit Engelland zu tun.
Gott sei Dank ergeht es mir besser als dem armen amerikanischen Seemann ohne Seemannskarte, in den mein deutscher Schriftstellerkollege B. Traven sich seinerzeit in seinem „Totenschiff“ kleidete. Ich kann mich im Gegensatz zu ihm anständig ausweisen (mein selbstgemachter Presseausweis leistet mir da immer wieder gute Dienste), und werde daher weder nach Holland und Frankreich hin und her abgeschoben, noch erschossen. (Wiewohl es ununterbrochen ringsum knallt.) Man hält mich schlicht, nach einem Blick in mein Auto und auf mein penndösiges Gesicht, mit dem ich samt Schlafanzug aus dem gleichnamigen Sack krabbele – und im Hinblick auf meine Art, Urlaub auf dem Land zu verbringen – für hinreichend verrückt und harmlos, um mich fürderhin unbehelligt zu lassen. [Was natürlich nicht funktioniert, denn mittlerweile ist es ja längst hell!] Nun, Geschichte wiederholt sich doch anscheinend immer wieder: In Sachen schicksalhafter Vorsehung großer Männer, und in Sachen Dünkirchen erst recht.
Im Weltlichen und der Obrigkeit gegenüber gilt noch mehr als im Spirituellen: Selig sind die Geistig Armen! Ja, der gute Traven hatte schon recht: Es gibt gegenüber Polizisten, denen niemals etwas Geistreicheres einfällt als die ihnen auf jeder Polizeischule der Welt unentwegt eingebläute Frage nach einem Dokument – die ihnen dann ob der Routine behagliche Sicherheit spendet – keine bessere Antwort als ein treudoofes Gesicht und einen echt aussehenden Ausweis. Beides beweist nämlich in jedem Falle, daß man ein anständiger Staatsbürger ist. Jes, Sir! Deswegen auch werde ich demnächst, wenn ein Polizist zu mir sagt: „Papiere“, einfach antworten mit: „Schere“ – und hab gewonnen. (Wenn ich ihm nicht "Stein" an den Kopf werfen will, das ist wohl nur bedingt hilfreich.)
Später tauchen noch zwei Bauern auf, gucken gleich den umherstehenden Kühen auf mich, deuten ebenso wie die Polizisten zuvor auf das neben dem Auto stehende Fahrrad mit der körpersprachlich angedeuteten Frage, ob es meines sei?, und trotteln dann wieder ab. Genau nach Kuh-Art. Muh.
SUMMARY: Eine sommerliche Gondelfahrt („Summery“) nach England ist was Feines. Jawoll, Sir. Man krempelt seine Gedanken nach links, freut sich wieder auf heimisches Essen und fährt seine Reifen zur Abwechslung auch mal auf der anderen Seite (an Bordsteinen) ab. Und wo man sich vorher ständig darüber aufgeregt hat, wieviel Englisch in Deutschland gesprochen wird, kann man sich nacher überraschen lassen, wieviel Deutsch im Gegensatz zu anderen Regionen Europas zu Hause noch übriggeblieben ist. Und wieviele Germanismen. You´re welcome.