Deutschlandpremiere in Hamburg. Große Tutanchamun-Ausstellung! Neu, einmalig, toll, und vor allem immersiv. Immersiv. Immersiv. So die Eigenwerbung. Immersiv heißt soviel wie eintauchen. Doch wer will schon in lauwarmes, abgestandenes Abwasser mit viel Schaum eintauchen?
Statt goldener König zu sein, bleibt der Autorlieber weiterhin Beobachter ...
DAS PRESSEBÜRO DES VERANSTALTERS muß schon so eine Vorahnung gehabt haben, oder schlechtes Gewissen. Sie wollten mir partout keine Pressekarte geben. Besser so - für sie. Ich bin trotzdem hingegangen und habe die 22 Euro gelöhnt. Strammer Preis für so was wie eine Ausstellung. Reicht schon ans Theater. Immerhin prangt überall in der Hansestadt die stolze Werbung in Übergröße. Und? Hat es sich gelohnt? Laut der Netzseite sollte man rechtzeitig buchen, wegen praller Nachfrage, und durchaus ein bis anderthalb Stunden einplanen. Ich war nach knapp 35 Minuten wieder draußen, freiwillig übrigens. Denn was erwartet einen in den 4 Räumen: zwei kleinen, einem mittleren und einem Saal? Tiefe Stimmen, laute Streicherarrangements, bunte und bewegte Bilder, vor allem in Gelb und Gold. Ein paar Nachbau-Artefakte, die man auch im Basar von Marrakesch bekäme oder auf dem Polen-Antikmarkt. Ein paar übergroße Tafeln mit Texten, die inhaltlich gefühlt dem Wikipedia zur Sache entsprechen, nur in „leichter Sprache“. (Klar, barrierefrei ist das Ganze auch, fein.) Eine Fotobox, wo man sich, als Gimmick, als Tutanchamun abbilden lassen kann. Sogar kostenlos, das ist im Preis inkludiert. Fetzt! Uuuund, jahah, eine virtuelle Welt, dank VR-Brille und Kopfhörer, in der man mitsamt dem Pharao auf seine Reise nach dem Tod geht. Dessen Ewigkeitserfahrung dauert hier ungefähr 4 Minuten. Ja, die kommen einem schon wie eine kleine Ewigkeit vor ... Dabei wäre es doch ein sagenhaftes Thema, um Welt und Spiritualität zu verbinden – zumal am Wechsel vom zweiten zum dritten Jahrtausend! Welch eine Gelegenheit, endlich die Moral hinter der Märchengeschichte zu entdecken, statt angebliche, vertrocknete Überreste steinalter Wüstentoter anzubeten! Ägypten, das Land der Zweiheit, das Land des Materialismus, aus dem man ausziehen muß ins gelobte Land …
Nein, ich will nicht nur spotten, und schon gar nicht moralisch missionieren. Wer noch nie im 3D-Kino war oder noch nie eine VR-Brille auf der Nase hatte, den mag es beeindrucken. Einige Minuten bestimmt. Technisch gesehen wird einem schon was geboten – ungefähr das, was moderne 3D-Kinos um 2005 auch schon hatten. Virtuell beim ersten Mal grandios. Doch ohne Inhalt ermüdend nach kurzer Frist. Wenn Technikbegeisterte und Informatiker eine Show machen … [show, hebräisch: "falsch"] wenn solche Leute versuchen, mit ihrer gewiß tollen Technik eine Show zu machen, sollte man zu Hause bleiben und besser ein Buch lesen. Was soll schon dabei herauskommen? Ja, genau das, was diese Leute (und Sie wie ich) schon vor Jahren im Hollywood-Kino gesehen haben. Ergänzt durch das, was seit Neuestem bei Wikipedia steht. Nur leider steht dort eben oft ein Haufen Mist.
BEISPIEL GEFÄLLIG? Sinngemäß aus
einem Frage-Antwort-Spiel aus der Ausstellung unter dem Motto: Hätten Sie´s
gewußt? Zum Beispiel, „daß Ägypter die Zahnpasta erfanden.“ (Ja, kein
Fragezeichen, sondern ein Punkt. Sie hatten also nicht nur ideenlose Texter,
sondern konnten sich noch nicht mal ein vernünftiges Grammatik-Korrekturprogramm
leisten.) „Viele Dinge, die uns in
unserem westlichen Alltag ganz selbstverständlich umgeben, stammen ursprünglich
aus östlichen Kulturen. Beispielsweise
die Zahnpasta: eine ägyptische Erfindung!“ (Oha, ich war ja nach der
Vorrede jetzt auf Sachsen gefaßt.) „Die
Rezeptur hat sich freilich in den Jahrhunderten ein wenig verändert, denn
ursprünglich bestand Zahnpasta aus Asche, Myrte, Eierschalen und Bimsstein.“
Meine lieben Freunde, sich Asche und Küchenreste plus erstbestes Kräutlein in den Mund zu schmieren, um nach
dem letzten Besäufnis oder Gelage auf anderen Geschmack zu kommen: Auf den Einfall ist auch schon der homo bilzinglebensis gekommen, nur 371
000 Jahre vorher. Ich gehe jede Wette ein. Zumal der den Kaugummi in Form von
Birkenpech schon vom Neandertaler übernommen hat. Beide lebten übrigens dort,
wo heute Mitteldeutschland ist. Die Zahnpasta der modernen Zeit, aus Tuben, mit
zahnweißen, entsäuernden und aufhellenden Effekten, stammt übrigens tatsächlich
aus Sachsen. Und die Zahnbürste aus Thüringen. Hätten Sie´s gewußt?
EIN BISSCHEN GESCHICHTSWISSEN wird immerhin auch vermittelt. Da gibt es diesen vielleicht durchgeknallten, größenwahnsinnigen Führer aus dem Ägypten der alten Tage, der sich über Monate einbalsamieren und dann mit einer über 12 Kilogramm schweren Totenmaske hatte seinen Göttern übereignen lassen, statt sich beispielsweise einfach nur vorzeitig zu erschießen und anschließend schnöde mit Benzin vom Erstbesten nebenan verbrennen zu lassen … Nein, Entschuldigung, ich habe hier wohl unbotmäßig was durcheinandergebracht: Das war ja ein gottgleicher König! Dieser Tutanchamun, meine ich. Und dann dieser Howard Carter, der eben diese grandiose Monumentalstein-Krypta wiederentdeckt hat (und bei der Gelegenheit ein paar Grab-Beigaben geklaut hat, „wie damals üblich“, laut Ausstellung), ja, das war schon ein famoser Bursche. Demnach. Oder vielleicht auch nur ein egozentrischer, eitler Selbstdarsteller wie die meisten, die in typisch britischer Gentlemen-Manier anderen Völkern einiges vor der Nase wegdiplomatisiert haben? Wer weiß? Ich weiß es nicht, zugegeben, ich war damals auch nicht dabei - so wie alle anderen heute Lebenden. Aber den Bildern und seinen Aussprüchen nach, die hier angeblich teilweise sogar im Original in der Ausstellung zu hören sein sollen, wirkt er wie ein typischer Ton-Angeber der angelsächsischen Welt – der von eben dieser spricht, aber zunächst sich selbst meint. Hatte er übrigens 1923 schon ein „Magnetophon“ im ägyptischen Tal der Könige dabei? Unwahrscheinlich, das wurde erst 1935 in Berlin von AEG erstmals vorgestellt. Immerhin auch noch ein großer Koffer. Mit Netzanschluß.
Lang und gut zum Thema der Ausstellung: Bombastkitsch herrlichster Ausprägung für Plebejer. Blendwerk zum Geldverdienen. Nachwuchsbespaßung zur Unterhaltung für Unten-Haltende. RTL für Freitagabend-Fernsehverschmäher, die lieber zum Bildungsbürgertum gehören wollen. Hollywoodschmachtkino ohne Film, dafür teurer. Was also will ein ägyptischer Konig von anno Dunnemals im kühldiesigen Hamburg zum Ende der Zweitausender? Weiters Ruhm, Geld und Gold scheffeln, sogar als Toter.