Verführerisches Blutgericht
Martina betrachtet das rote Miniatur-Rinnsal. Es kriecht ihre Schulter hinab. Einen halben Finger vor ihrer Nasenspitze sickert ganz langsam aus drei winzigen, mit den Augen kaum mehr sichtbaren, nadelfeinen Pünktchen nah beieinander das Blut. Sie hatte sich törichterweise einen Leberfleck aufgekratzt. Das kleine rote Sträßchen ist bereits eine Hand lang, windet sich in Mäandern über hellgebräunte Haut über winzige, unsichtbare Krater und Querrinnen. Sie bewegt die Zunge an das untere Ende und leckt den roten Pfad erneut weg.
Der Geschmack erinnert sie an eine Frau, die sie geliebt hat. Vor allem körperlich … In der Dampfsauna. Ihr schwarzes, wallendes Haar roch blumig, die Haut schwitzte ihren künstlichen, leicht sauren Tagesduft aus; doch am hinteren Hals, am oberen Rücken, bei den ersten deutlich hervortretenden und festen Wirbeln roch und schmeckte sie nach Blut! Sie hatte noch nie fremdes Blut gerochen. Nur ihr eigenes. Genau danach, oder zumindest sehr ähnlich, roch und schmeckte diese Frau dort. Es hatte einen kleinen Moment gedauert, bis sie die Gedankenverbindung hergestellt hatte - es war zu ungewöhnlich!
Sex in der Sauna: Hitze von außen, Hitze von innen. Tröpfchen von kleinem Zeh bis Schläfe, winzige Wasser- und Schweißströmchen reine Haut hinabperlend, Feuchte an allen glatten, an allen rauhen Stellen; Feuchtigkeit an allen offen und verdeckten Stellen. Feuchtigkeit überall. Dampfwolken und Waben, dicke heiße Tropfen von der Decke herniederfallend. Jenseits der beschlagenen Tür, am Ende des Nebels, leise Musik, vereinzelt Stimmen und Tritte, sich bewegende Schemen. Tropfende Scham. Quietschendes Herumrutschen auf den Sitzen aus wasserfester Plastik, knarzen. Aufeinanderklatschende Haut. Schneller werdendes Atmen, Ächzen vor hitziger Wallung, kehliges Stöhnen, gepreßt, unterdrückt, gedämpft. „Gedämpft“ – wie passend hier ... Gesichter aneinander reibend und abrutschend, Hände gleitend und mit zärtlichen Armen doch zupackend und an sich ziehend; hier küssen, dort lecken, da saugen. Milder salziger Geschmack. Beißen und gebissen werden. Mit Wange und Nasen abrutschen von überall, kaum etwas riechend.
Doch! Blut. An jener Stelle, am Nacken, nur da. Eine Frau, die nach Blut riecht. Das hatte sie noch nie erlebt. Es paßte ja doch nicht zu ihr, jener jugendhaften Frau mit dem fröhlichen Lachen und dem leichten Schritt, dem Unbeschwerten und dem Leichten, der Lebensfrische und der Ausgelassenheit, dem heiteren Humor und weichen Art. Dem schlanken Körper. / Und was paßte?
Eines paßt, scheint mir, und ich muß darüber schmunzeln; doch meine Martina [die ich mir eben ausgedacht habe] weiß es noch nicht: Die Frau, die ihr just so süß nach Blut riecht, ist Staatsanwältin.