Vom unrühmlichen Ende einer preisgekrönten Schwindelei
Nachfolgender Text ist 2016 bei einer Thüringischen Literaturgesellschaft eingereicht worden, aus Anlaß eines ausgeschriebenen Wettbewerbs um die schönste Lügengeschichte von Kindern. Warum sie unter Aberhunderten von Einsendungen den ersten Preis erhielt - und ihr Autor dennoch leer ausging und ausgebuht wurde
Kurze Lügenbeine?
Meine Eltern ziehen umwärts. Nach
Deutschland. Ich noch bleiben bei Oma für halben Jahr, in Lwiw, früher Lemberg
sein, weil ich noch enden muß Schule. Zu Hause wenn Post kommt, Polizei, Parasitär
oder sonst Erwachsener ich sage bin 14. Eigentlich bin 11, aber groß schon und
aussehe wie 14 oder 13 wenigstens; und muß sagen 14, sonst Mamuschka und Papska
nicht können dasein zu lassen mir allein zu Haus, und Omaschka viel ist auf
Landpartie. Und wenn brauchen Unterschreibung für Dokument, für Buch, für
Paket, für alles. (Wir brauchen Unterschreibung für alles in Ukraine!) So ich
muß sagen 14.
Ich will entschuldigen! Ich weiß,
in Deutschland ist Lüge schlimm, sehr schlimm! In Ukraine wir haben einen
Spruchwort, heißt sagen „nur belüge Zar, nie belüge Probst“. Das ist eine
schöne Spruchwort und gut klingen für ganze im Satz und alle kleine Kind
kennen. Das ist Bedeutung von „Lügen ist schlimm nicht wenn für Staat oder ist
sogar Not bei Staat manchen Mal, aber Mama und Papa - also sehr trauliche Personen,
ist doch schlimm belügen!" Ja!
So machen alle Menschen mit diese
Spruchwort, und funktionieren sehr gut in ganze Komplex. Aber, ich habe nicht
einenmal Lüge mit Mamuschka und Papska! Niemals.
Wenn ich komme nach Deutschland,
nie will ich lügen. Ganz nie. Lügen ist schlimm, immer. Ich weiß. Nach Umzugung
zu Frankenberg in Sachsen ich gehe zu Kinderchor, ich gut singen kann und
möchten. Aber niemand will glauben, noch bin erstemal gut 11, sondern alle
denken von mindestens 14, wegen Größe und Stimme und Gewicht und alles. (Herr
Chorleiter ist die Meinung für sich, ich sagen kleine Alter bei nicht zu
bezahlen wollen Spesenpreisen für Chordokumente und Chorreisen und für alles.
Kinder sind frei, ja.) Denken viele, Ukrainer können simpel lügen, lügen zu oft
simpel. Oder denken viele, falsch zu verstehen mich, ist auch möglich … (Aber lustig,
ich weiß doch meine Alter!) Also ich komme zu den Großen. Die Reihe hinten.
Das ist Chorreise. Das ist Nacht.
Wir sitzen viele Kinder in Herbergezimmer und erzählen Geschichten und Witzen
und von zu Hausen. Meine Freundin Anja aus Opole (Polen) ist sehr gut deutsch
sprechen und ist erzählen eine Geschichte für alle, fidel, und ganz mit
Lustigkeit, und so, und kein Ernst. Alle lachen. Dann denken alle Kinder und Lehrerin
außerdem von diese Geschichte, Anja ist große Freund mit Geschwindel und Lugen,
und ich ja auch, weil ich auch komme von Osten. Wir alle gut lügen! Von ab
dieses Abend niemand glaubt alles, was ich sage, denkt immer ich lüge, nur so.
Auch mit Alter alle wissen jetzt
(also denken nur!), ich bin 14 ehrlich. Wegen diese Grund ich sage selbst, ich
bin 14, wenn gefragt. Immer jetzt. Weil ich nicht sein will die Lügerin.
Possierlich ist, das funktioniert immer!
Nur einmal nicht. Da war einmal Museum
am Eintritt. Eine mal ich will Tarif nicht bezahlen für Erwachsene. Ich bin ja
12. Nicht 14 oder größer oder Erwachsen (ab 14 ist dort Erwachsen, zu zahlen).
Ich sage 12, Elisa und Mara und Lenka schreien: „14! 14! 14!“. Der Einfall
kommt zu mir: Ein Büchereienpass ich habe noch von Lwiw, mit Name und
Geburtsdatum und Foto. Und zeige Büchereienpass, und Wärter schaut und sieht
Geburtsdatum 20. 3. 2002 – nicht 2005! Da bin ich also doch 14 nach diese Paß,
mein lieber Gott! (Ach wie schlimm, da in Lwiw 2012 ich habe gelügt, wegen
notwendig zu bekommen das Eintritt in Büchereien ohne Mamaschka!!!) Da muß ich
zu zahlen wieder ganze Tarif für Erwachsene, alle Kinder lachen, Wärter bei
Kasse schaut sehr sehr sehr seriös und sagt zu mich: „Ja, ja! Lügen haben kurze
Beine!“
Lügen haben kurze Beine. Das ist
ein deutsches Spruchwort, erklärt zu mir Mamaschka. Das verstehe ich niemals.
1. Ich habe lange Beine, und das ist Grund von Lüge zu mir immer kommt … doof!
2. Dann muß sein alle Kinder Lüger, weil sie haben ja kurze Beine. 3. Ich will
nicht, aber Lügen mich verfolgen schon seit Heimat bis Deutschland, das ist
weite Weg! Da haben sie mit dem Anschein erheblich lange Beine!
Anna M. Sushenko, Jena. Jetzt 13
in Wahrheit (!!!)
Schöne Geschichte - mit kleinem Schönheitsfehler. Der Urheber war nicht die 13-jährige Anna M. Sushenko aus der Ukraine, sondern ein 46-jähriger Schriftsteller aus Thüringen*. Dieser war auf den Wettbewerb nur deshalb aufmerksam geworden, weil seine Eltern ihm einen kleinen Zeitungsausschnitt vorgelegt hatten mit der Annonce zum Ausschreibungsende jenes Wettbewerbs. (Daß er nur für Kinder und Jugendliche bis 14 Jahren galt, mußten sie in ihrem Alter übersehen haben.) Der umtriebige Schreiberling - bis dahin wenig preisverwöhnt, mangels Teilnahme an irgendwelchen Wettbewerben und überhaupt Wissen um solche sowie geringem weltlichen Ehrgeiz - dachte bei sich: "Wenn sie schon eine Lügengeschichte haben wollen ... Versuch macht kluch, soll ja der Teufel gesagt haben, als er sich in die Bratpfanne setzte ... und zugewanderte Kinder machen sich bestimmt gut, zumal Mädchen, wenn sie dann noch unbeholfen auf gelobte deutsche Tugenden anspielen ...", fing zu tippen an und reichte seinen Beitrag unter fingierter Email-Anschrift ein (unter scharfem Protest seiner Freundin). Fünf Monate später wurde die Gewinnerin Anna S. auf ein Thüringer Schloß eingeladen, um ihre Geschichte zur Preisverleihung vor geladenem Publikum in edlem Saale vorzulesen. Der Schriftsteller ging, vertretungshalber als Stiefvater für die dummerweise verhinderte Anna, artig hin - und las. ... Nach anständigem Applaus enthüllte er, um der Ehre Willen, den ganzen Zusammenhang. Verwirrte Blicke, betretenes Schweigen, Laute des Staunens und der glucksenden Empörung. Dann erhielt er zum Dank für seinen unterhaltsamen Vortrag voller Ehrlichkeit vor versammelter Runde eine zünftige Gardinenpredigt samt ad-hoc-Standpauke von der eilends bemüht grillig drein schauenden Jury-Vorsitzenden und bekam das zugesprochene Preisgeld doch nicht ausgehändigt. (Die langstielige Rose durfte er immerhin behalten.)
Ein anderes, vollbärtiges Jury-Mitglied sowie einige Anwesende sollen indes leise geschmunzelt haben.
* Dem Autor dieses Blogs namentlich bekannt.