12. Dezember 2023

[Romanauszug] Wahr, nicht wahr?

Über dieses (seltsame) Buch - Anmerkungen des Herausgebers

Es geschah auf einer Reise. Im Nachtzug von Berlin nach Wien. Im „EuroNight 229“ entdeckte ich die ersten Papiere. Ich war gegen halb zwölf in „Jena Paradies“ zugestiegen, als der einzige. Ich lief durch den halben Zug, und entdeckte schließlich ein einziges dunkles Abteil, in dem sich nur eine Person befand. Sie schlief. Sie schlief auf den ausgezogenen Sitzen; alle Sitze waren ausgezogen zu Liegen; sie lag auf den mittleren. Leise öffnete ich die Tür, um die Schlafende nicht zu stören. Aber sie hob gleich den Kopf und sagte ganz leise etwas, wahrscheinlich „Hallo“ oder „´Abend“ – ich verstand es nicht ganz. Ich grüßte leise zurück, und hob meinen Rucksack auf das Gepäckgitter. Dann kletterte ich vorsichtig über die Schlafende, um auf der Fensterseite zu liegen. Das Mädchen hob abermals den Kopf, und fragte mich, wo wir gerade wären, und wie spät es sei ...

 

Nach einer halben Stunde saßen wir beide, halb liegend, oder besser: lagen wir beide, halb sitzend, auf den Polstern und unterhielten uns angeregt. Die junge Dame war in Berlin zugestiegen und stammte aus der Ukraine. Sie hatte ein paar Tage eine Freundin besucht, und fuhr nun zurück zu ihrer Arbeit als Kindermädchen in der österreichischen Hauptstadt. Den Namen hatte ich lange nicht verstanden …  Lesyia, so hieß sie. Wir unterhielten uns angeregt, sie sprach ausgezeichnet deutsch, mit einem hübschen Akzent; in Nürnberg stiegen andere Reisende zu. Einige Stationen ruhten wir dann zu fünft im Abteil, dann verließen uns die Zugestiegenen wieder unter dem Hinweis, ein freies Abteil entdeckt zu haben: Unsere Unterhaltung setzte sich fort. Ich weiß nicht, warum wir die Zeit zwischendurch still gewesen waren, und nun erst wieder ins Gespräch kamen. Vielleicht war die Unterhaltung zu intim gewesen; vielleicht war aber auch einfach Müdigkeit durch die kühlen Fensterscheiben aus der Nacht hereingekrochen, und hatte sich das gleichförmige leise Geratter der Schwellenstöße zu Hilfe genommen; als die Fremden das Abteil verlassen hatten, war kurz das Licht angeschaltet worden: mag das der Grund gewesen sein für das wiederaufflammende Gespräch ... War es denn nur ein Gespräch gewesen?

 

Als das Mädchen in Wien-Hüttelsdorf ausstieg, entdeckte ich einen Moment nach der Abfahrt des Zuges die Papiere. Ich hielt sie für Unterlagen von ihr. Fast hätte ich ihr noch hinterherzurufen versucht, was natürlich völlig aussichtslos war. Sie war doch längst in der Menge verschwunden auf dem großen Bahnhof. Dann dachte ich mir: ´Das einzig Vernünftige ist, zu lesen, was drin steht – dann gibt es vielleicht eine Möglichkeit, die Papiere zurückzugeben. Auch wenn es vielleicht einen Tabubruch bedeutet: Besser, jemand Anständiges wie ich liest es und tut das Richtige, als daß die Sachen jemandem anderen in die Hände fallen!´

 

Warum diese Umstände? Den zahlreichen zusammengefalteten Papierseiten, überwiegend im Viertelformat, war auf den ersten Blick anzusehen, daß sie Tagebuchaufzeichnungen darstellten. Und so war es. Aber sie stammten, wie sich später beim Lesen herausstellte, offenbar nicht von dem Mädchen. Jedenfalls dürfte das meiste nicht von ihr geschrieben worden sein. Vielleicht stammen die Aufzeichnungen, zum größeren Teil anscheinend Fragmente eines Manuskriptes, aber auch von den anderen Reisenden, die zwischendurch zugestiegen waren und uns später wieder verlassen hatten (auch diese konnte ich später nicht mehr entdecken im Zug oder an der Endhaltestelle), oder von jemand ganz anderem viel früher?

 

Seltsamerweise hatte ich fast genau eine Woche vorher, beim Radfahren längs der Leine, eine Vision gehabt, die das Ereignis fast vorwegnahm: Mir kam der Gedanke, irgendwo ein Notebook zu finden, ohne die Chance, es zurückzugeben. Was würde man tun? Wahrscheinlich mit ein wenig Schamgefühl und viel Neugier anfangen, einige der Dateien zu lesen, die darauf gespeichert sind – in der redlichen Hoffnung und Absicht, Hinweise auf den Eigentümer zu finden. Ich überlegte: Wie viele der Hunderten von Dateien auf meinem Rechner geben verwertbare Hinweise auf mich? Im richtigen, nämlich dienstlichen Ordner, beinahe jedes Dokument – per Briefkopf. Aber bei etlichen anderen Ordnern würde die Sache für mich selbst ziemlich peinlich sein können. Gedichte, Überlegungen, Tagebucheintragungen, eine ganzer Ordner namens „Künstlerischer Kram“, vergleichsweise private Briefe, seitenweise nächtliche Plaudereien mit Internetbekanntschaften, etliche Dutzend frivole Bilder aus dem Netz und nicht wenige, recht delikate von Freundinnen ... Sicherlich für einen Fremden im Ganzen eher mäßig spannend, vielleicht erheiternd bis langweilig, zum Teil unverständlich. (Und, natürlich, in vielem auch überaus anregend.) Trotzdem: Auch wenn mich derjenige weder kennen noch jemals auffinden würde – was wiederum einen üblen Verlust meiner persönlichsten Aufzeichnungen darstellte, vom Wert des Geräts abgesehen – wäre mir das äußerst unangenehm! Manches ist eben nicht für fremde Augen bestimmt! Und manches würde, mit uneingeweihten oder tagesnüchternen Augen betrachtet, völlig abstrus erscheinen; manches als naive Spinnerei, manches als politische Aberwitzgrille, nicht weniges auf völlige Abwege führen bezüglich Vermutungen über den Autor. Dabei habe ich im Allgemeinen ein durchaus ein gutes Selbstbild von mir ... Wie gesagt: Manches ist eben nicht für fremde Augen bestimmt. Für niemandes Augen.

 

Und tatsächlich! Ziemlich genau so war es. Genau so fand ich diese Aufzeichnungen. Fast genau so. Wild, verrückt, originell, geistreich. Hier überaus privat, dort völlig unverfänglich und geradezu für Dritte geschrieben. Bisweilen wie von einem Irren hingekritzelt. Dann wieder philosophisch, hochphilosophisch sogar; zum Teil abgehoben und poetisch; zum Teil Erstaunliches enthüllend, wie im ersten Kapitel [1]; manchmal einfach Gedanken runtergeschrieben wie aus dem Moment heraus, manchmal kleine Erzählungen oder Anfänge von Geschichten oder Romanen gar. Oft interessant, erstaunlich sinnig, vereinzelt politisch verfänglich. Manchmal seltsam und völlig unverständlich, und manchmal, ich muß es zugeben, verteufelt erotisch. Ganz ehrlich: Nachdem ich es gelesen hatte, hätte ich mir nicht mehr getraut, demjenigen oder derjenigen seine beziehungsweise ihre Fragmente von Angesicht zu Angesicht zurückzugeben. Ich wüßte quasi viel zu viel Privates über ihn – und ich wüßte, daß er weiß, daß ich es weiß. Peinlich. Sehr peinlich! 

 

Warum eigentlich? Ist es schlimm, durchsichtig zu sein, erkannt zu werden in seinem Innersten, sozusagen „geoffenbart“? Hm. Ich kann die Frage nicht sicher beantworten. Ich weiß, oder besser: Ich ahne nur deutlich, es wäre peinlich. Für alle Beteiligten. Gewiß, es würde mich sehr interessieren, wer derjenige ist, wie er aussieht, was er tut, und wie um aller Welt es zu dieser skurrilen Ansammlung von Ideen und Geschichten gekommen ist? Mann oder Frau, Alter, Beruf? Wo kommt er, sie her, wie lebt die Person? Ach, läppische Fragen!

Ich muß in Sachen des Inhalts auch zugeben, daß ich manches, was mich anfangs gruselte und teilsweise abstieß, im Nachhinein verstanden zu haben glaube.

 

Es gab aber noch etwas anderes, was außerordentlich merkwürdig war - gelinde gesagt! Als ich etwa die Hälfte der Dokumente durchgelesen hatte, stieß ich auf etwas, das zu dem Rest überhaupt nicht paßte. Einige Seiten stellten einen ungereimten Zeugenbericht über irgendwelche Verbergungsvorgänge dar, die offenbar im Krieg stattgefunden hatten. Der Bericht war seitens der Fakten eher dürftig, leider nicht vollständig und hatte weder einen Anfang noch ein Ende. Spannend war indes, daß er zum einen einigermaßen geheimnisvoll klang, und obendrein authentisch schien. Schon beim ersten Lesen schwante mir zudem dunkel, daß es mit diesem Textabschnitt etwas Packendes auf sich haben würde – ohne daß ich gewußt hätte, aus welchem Grund. Später nahm es mir beinah die Luft, als ich den Text zum zweiten Mal überflog, und mir plötzlich ein Wort auffiel, welches ich beim ersten Lesen völlig übersehen hatte, obwohl es gleich am Anfang stand. Und dieses einzige Wort erhellte mir sofort den Sinn des ganzen Textes, stellte ihn in einen beredten Zusammenhang, und erregte mich aufs Äußerste. Hastig fraß ich den Text erneut in mich hinein, und hätte am liebsten gleich die Taschenlampe gegriffen, eine Spitzhacke geschultert und wäre ins Westerzgebirge gefahren. Es war indes Samstag Nacht halb eins ...  Das Wort war ein Name: „Wyst“. Diesen Namen hatte ich selbst schon viele Male gehört und vereinzelt geschrieben, allerdings vor vielen, vielen Jahren. Mit dem ganzen Stoff hatte ich mich während und nach meinem Studium lange Zeit intensiv beschäftigt. Einem Stoff, der keineswegs alltäglich ist und allein für sich schon hinreichend geheimnisvoll und aufregend: Das Bernsteinzimmer und die (angeblich) verzweifelte Suche danach seit mehr einem halben Jahrhundert. Alle Spuren hatten immer wieder ins Westerzgebirge geführt, und selbst eine völlig neu ansetzende Theorie, welche alle Indizien noch mal neu untersuchte und aneinanderreihte, vieles als Unsinn entlarvte und Neues hinzufügte, etwa den Zusammenhang mit dem deutschen Hochadel, kam zu dem gleichen Schluß: Das Bernsteinzimmer wurde im Westerzgebirge versteckt, und zwar im Poppenwald bei Niederschlema.

 

Am Montag darauf rief ich zuerst bei einem der Bersteinzimmerforscher und danach bei meinem Verleger an – mit dem ich seinerzeit schon zu dem Thema eine Veröffentlichung geplant hatte (und in dessen Verlag bereits Bücher zum Thema erschienen waren). Wir wurden uns schließlich einig, daß wir die augenscheinlich neuen Erkenntnisse vorerst nicht gesondert veröffentlichen würden, mangels Substanz [2]. Es gab lediglich eine kurze Pressenotiz. Ab diesem Moment aber, wo ich die Verbindung mit dem Bernsteinzimmer schlagartig begriff, hatte ich den Eindruck, die ganzen Papiere wären exakt für mich bestimmt gewesen. Ein ebenso faszinierender wie überaus beunruhigender Eindruck! Ich bin überhaupt nicht ängstlich, ganz im Gegenteil. Auch nicht abergläubisch. Aber in dem Moment, als mich diese Erkenntnis wie eine heiße Welle augenblicklich von Kopf bis Fuß durchflutete – ja, es war in erster Linie ein Gefühl! – wurde mir schwindlig und ganz kurz dunkel vor dem Auge. Oder besser, im Auge. Seither weiß ich auch, woher der Begriff der „weichen Knie“ kommt. Es sind eigentlich mehr zitternde Knie. Es ist genau so, wie wenn man aus Übermut auf einem breiten Baumstamm über einen Fluß balancieren will, statt 15 Meter weiter oben ein Brückchen zu nehmen. Es ist eigentlich ganz leicht, der Stamm ist ja trocken und fest und breit genug, um mit beiden Füßen nebeneinander darauf stehen und laufen zu können. Die ersten fünf, sechs sicheren Schritte liegen hinter einem, man ist fast genau auf der Hälfte, und auf einem Mal kommt einem der (nun auch leicht schwankende) Stamm sehr, sehr schmal vor! Und das bös rauschende Wasser unter einem sehr weit weg! Man beobachtet sich selbst dabei, den Mund aufzureißen und einen langen, langsamen und sehr tiefen Atemzug zu machen, und dann ebenso vorsichtig und langgedehnt durch die Zähne wieder auszuatmen. Zwischen Bauch und Brust entsteht ein Vakuum, als ob jemand den inneren Raum dort zu einem großen, schwarzen Loch aufziehen würde. Wild widerstreitende Gedanken hasten um die Wette, doch einer kommt mühelos an die Spitze. Und der schreit spöttisch ins ganze Stadionrund: „Wie konnte ich eigentlich so wahnsinnig bescheuert sein, das hier zu machen?! Das ist das Dümmste, was ich je getan habe. Freiwillig, völlig ohne Not. Und deswegen, vor allem deswegen werden alle höhnisch lachen, wenn ich jämmerlich stürze. Sicher werde ich stürzen, und PLATSCH, alles naß, versaut und blutig!“ Und die Böswilligen werden mit häßlicher Fratze schreien: „Siehst Du! Ich hab´s Dir doch gesagt! Was machst Du auch für dumme Sachen, warum hörst Du nicht auf uns? Jetzt sieh selbst zu, wie Du aus dem Schlamassel wieder rauskommst!“ Natürlich, das sind bei nüchterner Betrachtung lächerliche, verzerrte Spiegelungen von Kindheitserfahrungen aus Zeiten, als pädagogisch luftgebildete Eltern über den Erfahrungshunger des Kindes spotteten. Doch der kühle Verstand fehlt in solchen Momenten, und der ganze Erinnerungsmatsch wird aufgespült in einem einzigen Moment. Eine zweite Stimme befiehlt unterdessen: „Ruhigbleiben! Es ist alles wie vorher. Du kannst zurückgehen. Oder weitergehen. Es wird nichts Schlimmes geschehen!“ Dann lacht eine dritte Stimme: „Ja, geh nur zurück. Mach Dich lächerlich. Außerdem weißt Du genau, daß es jetzt ein wirkliches Problem gibt, von dem wackligen Stämmchen und dem Wind abgesehen: Deine zitternden Knie! Sie werden dazu führen, daß Du stürzt. Stürzt! Stürzt!“


Nun, ich hatte irgendwo durch einen großen Zufall Papiere von irgend jemandem entdeckt, der sich zumindest in weiten Teilen mit genau denselben ungewöhnlichen Dingen beschäftigt zu haben schien, wie ich selbst einige Jahre zuvor! Ich stürzte in dem Moment beinahe wirklich. Es war ein dunkelvioletter Schwindel.

 

Zurück zum Text, ganz wörtlich, und der gesamten Sache: Da ich den Schreiber der Texte (es ist höchstwahrscheinlich wohl überwiegend ein Mann gewesen, trotz mehrerer, verschiedener Schriftarten; oder jemand, der sich als Mann ausgab?) oder denjenigen, der die Papiere liegengelassen hat, nicht ausfindig machen konnte, entschloß ich mich, sie als Ganzes zu veröffentlichen. Ja, ich gebe es zu, das ist ziemlich genau das Gegenteil von diskretem Umgang mit einer Sache! Aber ich habe lange darüber nachgedacht. Ein halbes Jahr lang, welches die Papiere bei der ÖBB-Fundstelle in Wien lagerten – wo ich sie zunächst ganz korrekt und meiner Neugier zuwiderlaufend abgegeben hatte, bis ich sie schließlich wiederbekam wegen Nichtabholung.

 

Erstens scheinen es mir die sonderbaren Papiere eine Veröffentlichung zu lohnen – ich meine, daß das Geschriebene vielleicht mehrere Menschen interessant finden könnten, zumal unter den vorgefundenen Umständen, und weil einige meiner Freunde beim auszugsweisen Vorlesen genauso reagierten wie ich; zweitens besteht vielleicht die geringe Möglichkeit, daß der Schreiber auf diese Weise seine zweifellos für ihn wertvollen Aufzeichnungen zurückbekommt, und sei es durch den Tip von anderen Lesern. Drittens scheint mir manches ohnehin für eine Veröffentlichung vorgesehen worden zu sein, und viertens und als wichtigstes Argument für mich habe ich mich mit meiner Freundin darüber besprochen, die das Vorhaben letztlich auch befürwortete. Und auf ihr scharfsinniges und gerechtes Urteil konnte ich mich bis jetzt immer verlassen.

 

***

 

Editorische Notiz:

 

Noch einige Hinweise zu der Anordnung der Dokumente: Das meiste war auf losen Blättern handschriftlich notiert. Manches hatte keinen Zusammenhang mit anderem. Ich habe, soweit es möglich war, die Sachen so sortiert, daß entweder ein vernünftiger Sinn entsteht, oder daß das Lesen einfach anregend ist. Die Kapitelüberschriften stammen von mir, in Absprache mit dem Verlag. Nur wenige unleserliche oder keinen Sinn ergebende Satzteile sind getilgt worden; Rechtschreibfehler wurden korrigiert, gemäß bewährter Rechtschreibung; das Dokument war größtenteils nach eben dieser geschrieben. Die Namen sind unverändert übernommen worden, weil mangels feststehendem Urheber ohnehin keine Verletzung von Persönlichkeitsrechten gegeben sein kann. Sollte jemand Hinweise auf Personen aus der Geschichte oder deren Urheber geben können, so wende er sich bitte diskret an den Verlag.

 



[1] Ich habe mich daraufhin erkundigt: An der klassischen Geschichtsschreibung bezüglich "Uta und Eckehardt" bestehen tatsächlich Zweifel. Nach einigen Recherchen stieß ich auf einen Fernsehbeitrag, der belegt, daß ein Forscher aus Belgien für Aufsehen im Zusammenhang mit den Stifterfiguren und anderen Kunstwerken sorgt. Auch die angesprochenen Irrtümer über das Bernsteinzimmer im romanhaften Teil scheinen auf wahren Grundlagen zu ruhen; ein Buch von Dietmar B. Reimann bestätigt diese Ansichten („Bernsteinzimmerkomplott – Enttarnung eines Mythos“). Bei anderen angesprochenen Dingen ließ sich nichts Näheres herausfinden.

[2] Sie sind nun doch hier, im Zusammenhang mit dem ganzen Text, zum ersten Mal vorgestellt.

10. Dezember 2023

[Enthüllung]

 

 Welterfolg mit Thüringer Plagiat

Kupfert Ex-Deep-Purple bei Medfux ab?


 

--> Hier das Medfux-Original zum Lauschen!

 

„Under a violet moon“ heißt einer der größten Hits der englischen Mittelalter-Band „Blackmore´s Night“. Die Combo von Ex-Deep-Purple Richie Blackmore füllt damit weltweit große Hallen, nicht zuletzt in Deutschland. Manche ihrer Titel tragen sogar noch deutsche Namen. Wiederentdeckte Tonaufnahmen beweisen: Alles nur geklaut. Und zwar von dem Chansonprojekt „Goldfux“ der Thüringer Agentur Medfux. Deren Werk heißt „Unter´m blauen Mond“ und war noch unveröffentlicht. „Es gab für unser Arrangement nur einige Probeaufnahmen, für die ich vor Jahren die großartige Katja d´le Thurt  gewinnen konnte“, so deren Sprecher Tobias Mindner. „Den männlichen Part sollte später Achim Reichel übernehmen. Unsere Klangskizze geriet allerdings in Vergessenheit wegen der Kompo-sition einer neuen deutschen Nationalhymne und weitere Vorhaben“. Wie Blackmore indes an das Material für sein nahezu identisches Stück kam, ist ungewiß. „Ich kann mich nicht erinnern, von den Kollegen um eine Coverversion angefragt worden zu sein.“ Rechtliche Schritte will Mindner jedoch nicht beschreiten, ihn freue der Erfolg des melodiösen Stücks: „Ich finde die englische Interpretation durch Candice Night durchaus gelungen“. Zudem sei es Medfux gewohnt, regelmäßig kopiert zu werden – nicht zuletzt von Inselmusikern. Auch ein südenglischer Liedermacher nutze etwa seit Jahrzehnten regelmäßig Klangschnipsel aus Medfux-Filmen und Videocollagen für seine Werke. „Das Management dieses Herrn Oldfield, wie er sich nennt, wollte davon angeblich nichts wissen. Sei´s drum, meine Stücke sind für alle da“, gibt sich der gebürtige Weimarer gelassen.

 

 

 
 
 
 
 





[Schilderung] Erotische Fragmente

 

Die Frau war ein einziges Versprechen zur Lust. Zur ungezügelten Erotik.

Ich suche nach dem richtigen Wort, das sie beschreibt. Ja, sie hatte auch etwas Mädchenhaftes. Natürlich, mit ihren siebzehneinhalb Jahren! Mädchenhafte Rundungen, etwas fast Spitzbübiges im Lächeln. Das halbe Dutzend Armringe aus Lederbändchen am Handgelenk, ganz Gymnasiastin! Die farbigen Gummis im Haar, welche zwei, drei lustige Strähnchen aus dem schwarzen Schopf seitlich am Gesicht vorbeifallen ließen. Das vielleicht ein klein wenig pausbäckig zu nennende Lachen. Doch nein, pausbäckig! Wie altmodisch das klingt, wie verträumt, wie märchen- und jungenhaft … Doch, es war da, indes voll Sinnlichkeit. Vielleicht noch unerkannter, womöglich bereits geprüfter Sinnlichkeit?

 

In den rundlichen Wangen, in der gewölbten Stirn, im geschwungenen Gesicht mit der leicht gerundeten Nase und den gerade noch nicht üppig zu nennenden Lippen in den Bäckchen: Ein einziges Versprechen zur Lust. Ein großes Mädchen von strammem Körperbau – nicht dick zu nennen, doch gut gebaut, mit freundlichen Wölbungen der Brust und des Beckens, anmutigem Bäuchlein – ein Mädchen trotz allem; ein Mädchen in Sinn und Seele; doch die innenwohnende Urweiblichkeit im Körper nicht verhehlend! Allzu deutlich hervortretend, mit jeder Drehung des Kopfes gezeigt, mit jeder Handbewegung ausgeführt, mit jedem Schritt vollführt, und aus jeder Hautpore (ja, sagen wir es ruhig derb) die ungezügelte Fraulichkeit ausschwitzend. Wenig nur mußte man von Welt, von Frauen verstehen, um es schon zu erahnen, ja, zu spüren: Wie sie ihre wilde Lust hinausschreien würde, die sie jetzt schon, fast noch mit einem Mäntelchen aus mädchenhafter Schamhaftigkeit, ohne Worte allzu laut kundtat.

 

Ich muß ins Analytische, ins Wissenschaftliche wechseln. Es gibt Landkarten, welche die Welt nicht nach ihrer geografischen Ausdehnung, nicht nach ihrer Größenfläche zeigen. Sondern nach anderen Faktoren. Etwa der Wirtschaftskraft, etwa nach Kultur- oder Bevölkerungsdichte, etwa nach Verbrechenshäufigkeit. Als Weltkarte betrachtet, ist beispielsweise der deutsche Sprachraum in den beiden erstgenannten Kategorien quasi der Urkontinent Pangäa, die eurasische Landmasse in einem, und die meisten anderen Staaten Randerscheinungen oder Strichlein, falls überhaupt erkennbar. Stellt man als betrachteten Hauptfaktor die Verbreitung des Islam in den Vordergrund, gruppiert sich der ganze Globus als unbeleuchtete Nebenstatisterie um die arabische Sangesdiva; dann ist der östliche und südliche Mittelmeerraum ein gewaltiger Zierkürbis, auf dessen äußerer Schale sich ein mehr vermuteter als sichtbarer Pilzrasen ansiedelt, bestehend aus allen anderen Religionen. (Mag sein, daß manch hoffnungsfroher Mohammedaner die Welt so sieht.) Würde man das Kartenmodell auf dieses allzu frauliche  Mädchen übertragen: Ihr Schoß wäre das übergroße Zentrum! Ihr weibliches Zentrum, um das sich alles dreht; ihre Sinnlichkeit, zu der alles hinströmt. Ihr Unterleib wäre die fast einzig im Scheinwerferlicht stehende Primadonna des Ensembles.

 

Vielleicht ist das kulturelle Bild ein geeignetes, ja. Nur größer gefaßt. Vielleicht ein geeignetes Bild zu Beschreibung der Frauen allgemein und diesem fraulichen Mädchen, dieser mädchenhaften Frau im Besonderen. Ich denke sie mir als eine Spielstätte. Sie, die Frau. Es, das Mädchen. Es gibt viele Spielstätten, gewiß. Mittlere Häuser mit großem Anspruch und mittlere mit mittlerem, ja kleinem oder auch gar keinem.  Bildungsbürgerbretter, die deren oder sich die Welt bedeuten. Es gibt kleine Häuser. Es gibt ganz kleine. Es gibt Nebentheater und Kleinkunstbühnen. Es gibt welche, die entdeckst Du nur nach den Hinweisen im kostenlosen Veranstaltungskalender, und welche, die empfehlen dir kulturkundige Einwohner. Und dann findest Du sie großartig, überraschend professionell, genial geistreich oder geistreich genial. Es gibt Puppenbühnen, von denen du nie etwas liest oder hörst, die aber trotzdem einzigartig sind in ihrem fingerfertigem Spiel, den pittoresken Figuren; du kannst kuschlige Cabarets entdecken, die, wenn du sie entdeckt hast in den scheinbar unscheinbaren Hinterhöfen, dein ganzes Leben mit sensationeller Farbenpracht und Witz auf den Punkt spielen und ausleuchten in der Fülle von Schmerz und Freude, alle Außenwelt und Innenwelt. Es kann Jahre dauern, bis du die im Fichtenwald verborgenen Naturarenen hinter den sieben Bergen entdeckst, und dann wirft dich die Wucht ihrer Darbietungen um. Dann wunderst du dich, daß plötzlich alle Welt nur davon redet, jeder Held nur dort zu spielen wünscht, jeder Schurke einmal dort schon Gastspiel gab. Wie war es möglich, daß du vorher nie davon gehört?

 

Und dann gibt es noch die gewaltigen Festivals, die Theatertage der Stadt, die Abschlußaufführungen der Workshops, die Sommerbühnen: alles, was nur einmal sich zeigt oder wenige Male aufhübscht, heraussticht, sich beleuchtet, promenieren geht und aufgebauschte Prachtgewänder paradiert. Oder parodiert. All das sind so die verschiedenen Freudentempel und Häuschen der Lust. Die kleinen und großen Hütten des Dionysos. Die jährlichen Ritterspiele mancher Prinzessinnen, die Dornröschenschauspiele des Marionettenguckkastens. All das sind die Frauen mit ihrer verschiedenen Erotik, mit ihrer Scham, ihren geheimen Freudenreichen. (Natürlich, Freud mußte der Mann heißen, der das im Tiefsten erforschte!)

 

Jenes Mädchen aber, jene Frau, und ihre Scham – ihr Tempel der Lust, ihr magisches Machtzentrum, ihre heimliche Hauptstadt der Freude, ihr Tor zur Ewigkeit, ihre Kaaba im heiligen Mekka, ihr Petersdom im Rom der Katholiken, ihr Klondyke der Goldsucher, ihr Tal der Pyramiden für Altertumsforscher und ihre rote Venus für Himmelsfahrer – sie ist das erste Haus am Platz. Die beste Adresse. Der Treffpunkt für Einwohner wie Ortsunkundige. Nicht das höchste, doch das opulenteste Gebäude am Ort. Die Große Oper. Das Nationaltheater, der Staatszirkus. Allein die Einganghalle, das weite Vestibül, und schon die Prachtstufen davor: wie einladend, hinauf zu wandeln! Die aufgestellten Kriegerbüsten, die marmom´nen Skulpturen mancher Jünglinge mit blanker Brust, das Reiterstandbild des noblesten Fürsten davor. Alle Wege und Straßen führen direkt dahin, jede Zeitung spricht über Besetzung und Programm, du siehst es von überall. Überall liegen Handzettel aus, und jeder spricht darüber: Ob mit Worten oder Schweigen.

 

Die Spielpläne ändern sich, die Intendanten wechseln, ganze Ensembles mögen kommen und gehen: Es bleibt doch Attraktion für jeden. Ob Spielzeit oder Sommerpause: Es ist doch Aushängeschild der Stadt. Ob modisch schick herausgeputzt in allem Glanz, bespielt und bewundert, oder seit Jahren verloren, verwittert, verkommen und verwildert, mit off´nen Fensterhöhlen und eingestürzten Mauern: Es bleibt der schaurigschöne Mittelpunkt der Metropole mit erträumtem Schimmer alter Tage.

 

Doch diese „alten Tage“ standen hier noch bevor! Noch war es keine Bühne, kein großes Haus gar. Noch war es nur die Ahnung künftiger Triumphe, fernerer Heldentatenschausplätze, einzig wahrer Mittelpunkt staatstragender Inszenierungen. Noch kein Kolosseum, kein Rundkuppelbau, keine Panoramabühne. Kein angestrebtes Ziel für weithin sichtbar-sein- wollende Regisseure und staatserleuchtete Intendanten, kein Tummelplatz für ins Zentrum strebende Exzentriker, kein edelkandelabriger Palast für schauspielernde Politiker oder politisierende Schauspieler.

 

Und doch würde dereinst, und jetzt schon, alles sich drehen einzig um diese Spielstätte. Bespielt oder nicht. Voll oder leer. Beleuchtet oder im Dustern. Laut oder leise. Würde jeder Bürgersohn und jedes edle Bürschlein, jeder Adelsmann und jeder Arbeiter, ob Pimpf oder Parteigenosse, ob Burschenschaftler (sei´s Alter Herr, sei´s Fuchs), ob nun weitgereister Weltenbummler oder Wohnortspießer, sich in Gedanken oder Tat, bemühen, da hinein zu kommen! Würde kein einz´ger, arm oder reich in Beutel oder Birne, an diesem Platz vorbeizukommen in der Lage sein. Würde wildes Begehren oder vornehme Befangenheit (ja, Bescheidenheit scheint mir das bess´re Wort der Wahl zu sein!) zum gleichen Ziel hinführen.

 

Noch war es nicht soweit, zu jung noch war das frauliche Mädchen. Und doch schon konnte man es ahnen, riechen, fühlen, schmecken. Schmecken, fühlen, riechen und ertasten, es würde all das werden – sein. Und schon die ersten zarten Aufführungen noch junger, unbekannter Mimen: Welche Schauspiele und welche Darbietungen an dieser Rampe, in diesem Licht! Was für ein Haus der Freuden! Wie wird gesungen und getanzt! Wie wird geschrieen und verziehen, wie wird gejammert und geklammert, wie wird gestorben und verdorben. Was für Geschrei, Getobe, Zeter, Mordio lauter Lust!

 

Zwar stand dies alles noch bevor, stand bildlich geradezu bevor noch; doch konnte, mußte man schon ohne jeden Zweifel sein, daß diese beherrschenden Unterwelten, dieser Sinneshades und Orkus der Lust, diese nymphenreichen Feengrotten im Zauberreich, jeden noch so edlen Recken, jeden Ritter der großen Pose und Helden des Geistes früher oder später in das Labyrinth des Werdens und Verderbens führten. Das Mädchen war dafür gemacht. Hingeben würde sie sich jedem Eroberer mit aller eingeborenen Gefühligkeit und Freude, hemmungsfrei und offen allem gegenüber, wüst und direkt und lockend und begierlich. Wüst und direkt, und lockend und begierig selbst noch in ihrer Feinheit, Zurückhaltung und Abstinenz.

 

Das klingt nun alles so, als spräche ich von einer Dirne, einem Flittchen. Nein. Nein, und abermals nein! Das eben nicht. Ich wollte nur die natürliche Sexualität darstellen, die in ihr wohnte, die sie ausstrahlte. Um das Bild des Theaters noch einmal aufzugreifen: Bunt bespielt von einem festen Ensemble, geführt von einem guten Intendanten, den ganzen Fundus der Kostüme, Masken, Kulissen und der Programmbreite ausnutzend, die Höhe und Breite des Hauses von der Unterbühne bis zum Schnürboden verwendend, würde für Gastspiele weder Platz noch Notwendigkeit sein. Sie wäre, zumal klug und mit Gefühl, durchaus ein anständiges Madel, ehrbares Weib. Es ging mir nur um ihre eingeborene Wonne und körperliche Sinnlichkeit, ihr selbstgewisses Eva-Tum. Die natürliche, ungewollte und schlicht daseiende Präsenz ihrer puren Weiblichkeit, ja, das dauernde Versprechen ihres Schoßes, welches schon allein ihre Augen ausdrückten mit jedem Wimpernschlag. Welches ihre Lippen mit jedem Wort (und ohne jedes Wort) aussprachen, ihre Gesichtszüge, ihr Gang, ihre Beine bei jedem Schritt allzudeutlich verrieten. Sie konnte gar nicht anders – deswegen war sie völlig unschuldig darob und desto aufreizender damit.

 

Du fragst, ob sie hübsch sei? Nun. Schönheit entsteht im Auge des Betrachters. Schönheit wäre nicht ihre erste Tugend, und die Gaben sind gerecht verteilt. Ich schildere sie dir in einem Alter (das man Alter ja noch gar nicht nennen kann), da ein Mädchen schön sein mag, alle aber hübsch sind. Und, wie gesagt, größter Teil ihrer Schönheit war zuallererst ihre ungezügelte Lust, ihre natürliche Sexualität, die zu verhüllen sie keinerlei Notwendigkeit doch kannte.