
Stillgelegt, doch nicht
entwidmet. Rostig
und verwildert, doch nicht vergessen. Geduldig und still, doch immer wieder Trubel verursachend: So dämmert die
berühmte „Thüringer Oberlandbahn“ mit traumhaften Felsklüften,
Geländeeinschnitten, Tunneln, verwunschenen Haltepunkten und grandiosen
Viadukten vor sich hin. Stellenweise längs zur den herrlichen Saalestauseen,
von der Orla-Senke bei Triptis bis hinunter ins fränkische Hölltal, wo sich
Fuchs, Waldtrolle und schwarze Eichhörnchen „Guten Morgen“ wünschen und sich
uralte Fichten einander zuraunen.
Ja, ein Verein
kümmert sich rege um die vor Jahrzehntfrist stillgelegte Bahnstrecke, und
wunderbare Draisinenfahrten sind möglich. Ja, ein kleiner Teil wird noch berollt, von Güterzügen zum Holzwerk.
Ja, über die Wiederbelebung des
winzigen Zipfels am südlichen Ende wird gerungen: überwiegend aus knallharten wirtschaftlichen
Gründen, die immerhin gut grün besprüht sind …
Würde aber die ganze Oberlandbahn nicht selbst eine sensationelle
Attraktion sein können, sich wirtschaftlich selbst tragen können, und obendrein
noch späterhin Nutzen einer Verkehrsbahn für Güter und Passagiere in sich vereinigen
können?
Wie könnte das gehen?
Reden wir Klartext. Mit großer Wahrscheinlichkeit nicht geht es nach dem alten
System, im alten System: Mit
regelversessenen Bürokraten in fernen (Eisenbahn-?)Bundesämtern, denen erst 12
Stempel auf 12 Durchschlägen vorgelegt werden müssen; mit
verantwortungsängstlichen Streckenverwaltern, mit nach der Wirtschaft
schielenden, nostalgischen Hobby-Eisenbahnern a.D.; und es geht nicht allein
mit gutmeinenden, braven Bahnliebhabern, welche hier oder dort schon mal ein
paar Meter Gleis mit Vereinskollegen auf eigene Kosten von Freitag bis Samstag
vom Grün befreien und ansonsten auf wohlgesonnene Bürgermeister, eine geneigte Öffentlichkeit, Fördermittel vom
Land sowie eine bessere Zukunft hoffen. Fördermittel?
Die wollen erstens alle, die hat zweitens keiner mehr, die sind drittens das
Geld anderer Leute zugunsten eigener Partikularinteressen – also recht unehrenvoll
– und nutzen viertens auch nur, so lange sie da sind. Sie wirken also nicht nachhaltig. Sind aber nicht Langfristigkeit und Nachhaltigkeit angestrebt?
NEUE IDEEN!
Was wäre, wenn wenige Leute die anderen so begeistern, daß diese
freiwillig kommen und ihr Geld bringen? Wie wäre das, wenn man touristische
Glanzpunkte setzte, die deutschlandweit ausstrahlen? Das man also keine Werbung
machen muß, sondern die Werbung von allein geschieht – durch persönliche
Empfehlung und durch Journalisten, die ihre Beiträge darüber schreiben und
filmen, weil sie selbst begeistert sind? Wenn also Öffentlichkeitsarbeit statt Werbung
die Kunde in die Lande bringt, und das wie von selbst?
Ist das schwierig? Nein. Leicht ist es. Man braucht eben nur
neue Ideen. Unabhängig, frei, und ein paar Parameter mehr ändernd. Diese Ideen
sind da.
Beispielsweise! Wie wäre das, wenn zumindest an Wochenenden offene Pritschenwagen mit einigen Bänken,
brennendem Grillrost und einigen kühlen Radler- und Limoflaschen fröhliches
Publikum langsam durch die herrliche Landschaft zuckeln ließen? DAMPFGRILL MIT
RAUCHIGEM FREI-BIER könnte das Spektakel heißen. Voran ein „Schienenkleinfahrzeug“
SKL, mit Halt am Stahlviadukt und informativem, unterhaltsamen Vortrag über
dessen Erbauung und die Geschehnisse dabei? Mit mild grusliger Tunnelquerung im
Schein einiger Fackeln und echtem Dampflokgeruch?
Mit Badehalt an der
Saale bei heißem Sommerwetter, mit Saunahalt bei kühlem Herbstklima? Vielleicht
steht ja eine bald gebaute, einfache Finnensauna am Haltepunkt Liebschütz; vielleicht
fährt auch eine Faß-Sauna auf dem letzten Wagen mit? STRECKENSAUNA FÜR BERG-UND-BAHN-FANS. Im
Winter gibt es in geschlossenen Raumwaggons Filmvorführungen an den schönsten
Stellen über alles, was eben mit diesen und der Eisenbahn zu tun hat. Oder mit
dem zu tun hat, was die betreffende Reisegruppe sich eben gerade wünscht. Und
im Frühling …
Ach, das geht nicht, denken
Sie? Schöne Idee,
aber schon allein das Eisenbahnbundesamt
wird dem niemals unter
halbwegs menschenmöglichen Bedingungen zustimmen, von den nötigen Gebühren für
reguläre Halte und Netzeinbindung ganz abgesehen? Ist denn das EBA als oberste
Behörde nicht zuständig und zwingend zustimmungsnötig für befahrene
Eisenbahnstrecken? Ja, genau. Aber wer sagt denn, daß das Ganze noch Eisenbahn heißen muß, nur, weil es auf
alten Gleisen stattfindet?
Dann wird die Strecke eben zunächst regulär entwidmet! Und prompt ist das EBA nicht
mehr zuständig, und ein findiger Unternehmer oder ein engagierter Verein kann
organisieren, was er will. Dann braucht man mit einem Mal keine geprüften Lokführer
und zertifiziertes Sperrpersonal mehr, braucht keine Wegekreuzungspunkte aufwendig
doppelt absichern, keine mindestens einjährige Vorplanung wegen langer
Antragsfristen bei Fahrgastverbänden, keine horrenden Gebühren für
Unterschriften … Geht nicht, gibt’s nicht!
Oder die Strecke wird nicht
entwidmet, nur stillgelegt, doch es findet etwas ganz anderes darauf statt, was
nichts mit der herkömmlichen Bahnbeamtenlogik zu tun hat und so heißt? Wenn zum
Beispiel gar kein „gleisbezogener Kraft(fahrzeug)betrieb“ stattfindet, sondern streckengebundene Erlebnisgastronomie
auf manuell betriebenen Vehikeln, längs eines ungenutzten Verkehrswegs? Ja, das
ginge. (Da könnte sich allenfalls noch ein Förster für zuständig erklären. Da
man aber örtliche Jagdvereine so zu ungewöhnlichen Naturpunkten kutschieren
kann, Naturburschen durchaus auch Geselligkeit und ein Halali im Tunnel zu schätzen
wissen, und man ferner vor Ort im Zug lokales Wild verkaufen kann an
weitgereiste Touristen, dürfen solche eher leicht zu überzeugen sein.)


Äh, wie bitte? Manuell
betrieben? Ja, das könnte gerade der große Clou sein, die einzigartige
Heraus-forderung! Gibt es nicht noch echte Männer, die ihren geliebten (und
staunenden) Gattinnen gern Gleise vor die Füße legen würden? Ja, die gibt es.
Und es gibt Männer, die am Wochenende freiwillig Steine schleppen in Bergwerken,
um mal was richtig Kerniges zu tun; Männer- und Frauengruppengruppen gibt es, die
halbe oder ganze Marathons freiwillig abschwitzen oder auf dem Radel strampeln,
gegen strammes Startgeld und für eine Bratwurst plus ein halbes Radler als
Lohn; Tausende, die sich am Samstag in Triathlons abplacken und dafür weit auf
eigene Kosten anreisen. Zehntausende, die in immer das gleiche Fitneßstudio
rammeln, um 35 oder 55 mal die Fußpresse bedienen – und denen sollte es nicht mehr Spaß machen (und gesundheitliche Befriedigung
geben), mal mit einigen Gleichgesinnten an einem Strang zu ziehen und damit das
Leichtvehikel über die Gleise? (Der Rollwiderstand von Stahl auf Stahl ist
übrigens erstaunlich gering – jeder technisch Versierte weiß es, es begründet
die Erfolgsgeschichte der Eisenbahn.) Ja, ein regulärer Eisenbahnwaggon ist
tonnenschwer, gewiß; aber wer redet von regulären
Eisenbahnwaggons? Wir zumindest haben
nicht davon gesprochen. Es können auch zusammengeschweißte Altfahrräder oder
Lastenfahrräder mit kleiner Plattform sein, etwa Mehrpersonen-Draisinen – nur
einige hundert Kilogramm schwer, mit
Personen gerechnet! Und sie müssen nicht unbedingt gezogen werden, auch
schieben tut´s. SCHIENENFITNESS
FÜR ABENTEURER! Oder kurbeln. Oder treten. Oder je nachdem Windkraft.
GLEISSEGELN?!
Haben Sie noch nie gehört? Wir auch nicht. Eben deswegen wäre es ja eine völlig
neue Idee, und eben deswegen würden Leute von überall kommen, nachdem
Journalisten von überall da waren. GLEISSEGELN am
Thüringer Meer – am jeweils ersten Wochenende des Monats von Mai bis Oktober,
Männer gegen Frauen. Ziemlich abgefahren, finden wir.
Ach so, es ist ja nicht immer Wind. Aber die Strecke hat
Gefälle, nach Ziegenrück hinab von beiden Seiten. Also DRAISINENWETTRENNEN – welches Phantasiegebilde ist am schnellsten auf
dem Gleis, wer baut die flinkste Seifenkiste auf Gleisen? Hierbei ist Antrieb
regelrecht verboten! Aber wer rollt, der rollt.
Oder doch mit Antrieb, aber ganz alt- und zugleich neumodischem?
Eine ganz kleine Dampflok, nicht systemrelevant und ohne reguläre
Zulassungsnummer, hintendran für schwierige Passagen – diesmal spezialgefertigt
– welche die Reisenden selbst mit Holz befeuern müssen? Wer wollte nicht schon
mal Lokführer sein oder Heizer auf seiner eigenen Landpartie mit Freunden oder
im Kollegenkreis? Wenn der Druck nicht reicht, muß eben noch mehr Holz
rangeschafft werden, oder etwas von Hand geschoben … HANS-DAMPF-AUF-ALLEN-STRECKEN. Oder
sollte man etwa gleich einen Bastlerwettbewerb für solarbetriebene Schienenfahrzeuge
ausschreiben im ganzen deutschen Sprachraum, um zu sehen, wie man MIT SONNE IN
DIE ZUKUNFT zuckelt, um Nachwuchsingenieure, Garagen-Tüftler und
Maschinenbauer in spe anzu-locken, in Kooperation mit einer Technischen
Universität?

Gewiß: Man fängt nicht gleich an mit einem Luxusliner á la Orientexpreß
– mit Kaffee und französischem Cognac und Kriminalrätsel im Tunnel – auf der vorab
fertig vorgehaltenen Strecke über 68 Kilometer! Man fängt an mit dem ersten Schritt. Und zwar mit einem organisierten TRASSENDAUERLAUF für Jogger und
Läufer. Ebenfalls weltweit einmalig! Da gibt es nicht viel vorzubereiten, außer
einem geschmückten Startbahnhof in Knau und girlandenumflorten Zieleinlauf in Remptendorf.
(Die Wirte dort sind bestimmt schon ungefragt mit von der Partie.) Auf die
Schwelle, fertig, los! Und Samstag drauf das gleiche erneut, diesmal im Dunklen
– Startzeit ist 22.00 Uhr. Hier wird die Stirnlampe nicht nur im Tunnel
gebraucht. FINSTERLAUF
OHNE SCHWELLENANGST. Können Sie sich das Bild, vom Bergipfel oder aus
Drohnensicht, vorstellen? Eine kleine, sich selbst bewegende Lichterkette im
Tal da unten? Die Bilder kommen mit
Sicherheit im Abendjournal, und haben Kultstatus auf Youtube! Danach wird nicht mehr über das „Ob“
einer zu reaktiviertenden Oberlandbahn gesprochen, sondern nur noch über das
„Wie“ …
Ach ja, und die ganze Verwaltung, der Aufwand, der Geldkram!
Wer wollte das schon machen? Was für ein Ärger! Kaum einer will das allzu gern machen
– alle wollen am liebsten nur fahren. Na dann, lassen wir sie doch. Wir nehmen
kein Geld, sondern nur Spenden. Dann müssen wir auch kein Gewerbe anmelden,
keine Steuern zahlen, keine Bücher führen, keine Kontrollen über uns ergehen
lassen … Jeder fährt mit auf eigenes Risiko, unterschreibt schlichtweg vorab eine
Haftungsfreistellungserklärung, wie
im Kletterwald etwa. Alles ganz
einfach. Und, glauben sie nur, die begeisterten Leute werden
nicht nur kommen, sie werden auch mittun. So oder so. Schon beim Aufbau und der
Organisation – weil das Ganze in jedem Fall ein echter Knüller ist. Ein
Abenteuer, ein einmaliges Erlebnis, eine echte Erfahrung im wörtlichen Sinn: Sozusagen
mit erstklassiger Grafikanimation, 3D-Effekten vom Feinsten und Raumklang ungekannter
Güte in der realen Matrix. Je weniger
vorher steril und allseitig überorganisiert und hochglanzbeworben ist, desto
mehr und desto begeisterter strömt das kernige Publikum von überall. Zuerst
eingefleischte Bahnfans, harte Naturburschen und Genießer des
Außergewöhnlichen. Später (Ruhm-)Trittbrettfahrer und Trassengucker, dann
Nachzügler und breites Wochenendpublikum.
Und so
weiter, und so weiter. Sagen Sie nicht, es ginge nicht. Wo ein Wille, da auch
ein Weg. Erst recht, wenn der Weg schon da ist – und sogar Schienen drauf
liegen!