14. Oktober 2025
2. Oktober 2025
[Erzählung] Wie ich dreimal die gleiche (Bahn-)Wette gewann!
Von einer tatsächlich erlebten Begebenheit, die so drollig und in einigen Teilen sogar wahr ist, daß ich sie mir nicht auszudenken kaum getraut hätte
Ehrlich gesagt: Wir flachsen immer ein bißchen herum, wenn mich Leander mit dem Auto abholt. Weibergeschichten, große Weltpolitik (oder was wir davon halten), Witze und Schwänke aus der sogenannten guten alten Zeit. Zumindest ich kann da von allem reichlich berichten. Wird behauptet.
Wenn alles gutgeht, geschieht das einmal in der Woche. Dann fahren wir gemeinsam zum Hallenfußball in die Nachbarstadt. Manchmal fährt er, manchmal fahre ich; und wenn genügend Leute zusammenkommen, sitzt auch noch ein dritter, selten vierter Sportler mit im Auto. Was mich nun betrifft: Ich habe mit Fußball spielen schon angefangen, bevor ich laufen konnte. Wahlweise auch ohne Ball und Gegner, wird gemunkelt. Und bin jetzt, nach fast einem Vierteljahrhundert Dabeisein in dieser Gruppe, deren dienstältester Balltreter – und der einzig verbliebene Tintenakrobat aus der vormaligen Journalisten-Gruppe. Vielleicht gut so. Einer muß die Geschichten ja aufschreiben und hin und wieder mal ein Bild knipsen. (Damit wir uns nach Ablauf weiterer 20 Jahre erneut an der guten alten Zeit ergötzen können.) Zum Beispiel der Szene, als ein Mitspieler mir noch im Liegen die Telefonnummer einer Frau zuflüstern wollte. Er kam aber leider nur bis etwa zur vorletzten Stelle, dann ging ihm der Atem endgültig aus, die Augen hatte er vorher bereits geschlossen. Das war, weil ihm der Notarzt gerade eine stramme Betäubungsinjektion gegeben hatte und die Rettungssanitäter ihn dann flugs abtransportierten. Und das wiederum war, nachdem er in der letzten Minute nochmal kräftig ausholend gegen den Ball hatte treten wollen, aber in einer schwungvollen Drehbewegung an der Schuhspitze eines Gegners hängenblieb und im gleichen Moment mit einem erstickten Überschrei zu Boden sackte. Und mit exakt nach hinten gedrehtem Fuß.
Die Telefonnummer sollte übrigens nur dazu dienen, daß wir jener umgehend Bescheid geben konnten. Nicht, was Sie vielleicht denken.
Leander ist umgekehrt der jüngste Neuzugang: ein Ballkumpel hat ihn vor einigen Jahren mitgebracht, als dringend Mitspieler gesucht wurden. Das war nun fast unentwegt so. Unser „Stammkader“ betrug bestenfalls und optimistisch besehen 8 Leute. Mit mehr hätten wir in der kleinen Halle nicht spielen können, mit weniger als 6 aber auch kaum! Allenfalls noch zu fünft, wenn sich Zweie besonders austoben wollten. (Der einzige indes, der das regelmäßig wollte, war ich.) Sobald also einer schwächelte und vielleicht noch einer fremdterminlich ausfiel, drohte Sportausfall. Es gab Halbjahre, da zahlten wir überwiegend für eine leere Hallenzeit statt anständigem Kickern. Mithin gab es eine enorme Fluktuation, gerade bei den dauernd gesuchten Ersatzspielern. Wer hat schon Lust, dauerhaft Lückenbüßer zu sein und nur bedarfsweise einzuspringen? Wie im richtigen Leben also, ebenso bei Liebeleien.
Da ich mich umgekehrt auch schon bei vielen solch gepflegter Bolztreffs in ganz Deutschland rumgetrieben habe und mal hier und mal dort als Reservespieler auflief, kann ich sagen: Das Problem besteht bei allen Ballermännern, weltweit. Mindestens.
Ich schweife unzulässig ab. Leander also ist Ingenieur und arbeitet derzeit in der EDV für ein Subunternehmen bei der Bahn. (So einer ist auch mindestens bei jeder anständigen Fußballtruppe, doch das nur am Rande.) Ganz sicher bin ich mir bei der genauen Tätigkeit nicht; er hat es mir anfangs mal erzählt – und gewiß habe ich aufmerksam zugehört. Bestimmt so aufmerksam, wie es der Höflichkeit gebührt und sich für einen dieser temporären Schattenstürmer lohnte …
Mittlerweile kennen wir uns gut und mögen uns. Allerdings geht die Freundschaft kaum über die Pöhlerei hinaus; wenn der Sport stattfindet, sehen wir uns, reden miteinander, plauschen gern beim Bier (so wie mit allen anderen untereinander); doch unabhängig von unserem Hallentermin sehen wir uns üblicherweise nicht und kommunizieren auch nicht weiter. Man muß es ja auch nicht übertreiben.
Heute nun habe ich ihm gerade erzählt, daß ich just von meiner Waldhütte im Südharz käme, dort ein paar Tage mit Baumfällen und Baumhaus-Saunabau zugebracht hätte. (In anderen Kreisen das, was man nebenher von seiner Finka auf Funafuti und dem dort nur mühselig zu beschaffenden Bootslack für die Jacht zum Besten gibt.) Bei der Gelegenheit moserte ich über die dürftige Bahnverbindung zwischen Erfurt und Nordhausen. Die Hütte liegt unweit des kleinen Ortes Herrmannsacker, etwa 15 Kilometer von Nordhausen entfernt; Erfurt wiederum – für Ortsunkundige und Thüringendilettanten – heißt der Flughafen von Weimar. Und hatte dabei wohl ein bißchen polemisch zugespitzt (wie es in der mündlichen Rede durchaus statthaft ist, zumal unter männlichen Hallenplatzfegern): die Bemerkung, daß man dort mittlerweile fast mit seinem Drahtesel schneller hinkäme, erregte des pingligen Zuhörers anstoß. (Oarh nee!) Hier also gab mir Leander ein kleinkariertes Kontra. Vielleicht aus aus purer Gesprächs- oder Widerredelust, vielleicht aus verletztem Firmen-Zugehörigkeitsstolz, vielleicht nur in Vorfreude auf eine gewisse Kampflaune beim Sport: Üblicherweise zeigen wir einander stramm kameradschaftlich, wo der Barthel seinen Most holt und wie der Igel die Turnschühe schnürt. Er ist zwar ein freundlicher und solider Bursche, und ich mag ihn durchaus. Und will annehmen, es ginge ihm umgekehrt mit mir ebenso; doch im Spiel schenken wir uns also nichts; jedenfalls dann nicht, wenn wir gegeneinander spielen, was ab und an vorkommt. Wir verhalten uns ganz gemäß der Regel, daß erst im Spiel der Mensch zum Menschen werde – laut Schiller – und wir also nichts ernster nehmen als das Spiel, wie alle Männer. Dagegen ist alles andere Ponystreicheln für Puppenprinzessinen. In der sogenannten Lebenswirklichkeit kenne ich das Wort Ehrgaiz nur vom Hörensagen und bin so leidenschaftslos wie eine Zugschlußlaterne beim Eisbaden. Oder ein Anwalt im Bett. Frauen natürlich ausgenommen. (Leander ist dagegen seit langem vereiratet.)
Er gab also mit einem knappen Seitenblick zurück:
„Naja, jetzt übertreibst du aber! Per Fahrrad wirst du wohl kaum so schnell sein, das sind mindestens 80 Kilometer Strecke.“
„72 Komma 5, ziemlich genau“, gab ich den Ortkenner, „zumindest laut Gugel“. Aus schierem Übermut heraus behauptete ich noch dreist „Aber doch, klar!“, worauf er die Augenbrauen hochzog und keß widerborstete:
„Die Bahn fährt ja wohl kaum länger als anderthalb Stunden, so oder so. In der Zeit schaffst das auf keinen Fall!“
Ich schwieg eine gerüttelt´ Kunstpause lang und antworte dann geflissentlich:
„Na gut, dann laß uns eine Wette machen! Ich behaupte, in jedem Fall schneller als die Bahn zu sein. Und zwar mit dem Fahrrad.“
Wir besprachen einige Minuten lang mehr oder weniger lose und mit Schalk im Schabernacken die Rahmenbedingungen, sozusagen wörtlich, dann schlug er ein. Ich hatte ihm versichert, ehrlich zu sein und zu einer Zeit meiner Wahl in dieser sogenannten Landeshauptstadt zu starten mit dem Velo, und dann die Strecke während der Fahrt mit dem Navi aufzuzeichnen – quasi in Echtzeit, um damit beim nächsten Mal den Wahrheitsgehalt meiner Aussage zu dokumentieren. (Wiewohl an sich die ehrbare Untadeligkeit meines redlichen Rechtschaffens je unstrittig sein sollte, da mir die integre Aufrichtigkeit zuverlässiger Seriösität allemal zur zweiten Natur geworden ist und die gewissenhafte Loyalität zur Wahrheit selbstredend außerhalb jeder Frage steht. Einmal Ehrenfuchs, immer Ehrenfuchs!)
Leander hatte unterdessen bereits nebenher (auf dem Mittelmonitor seines hochtechnisierten Wagens, der natürlich Internetverbindung aufwies und auf Sprachbefehle reagierte) souverän nach verschiedenen Abfahrts- und Ankunftszeiten des Zugs geschaut. Ich hielt das zwar nur für eine selbstbewußte Mäusekino-Show mit mittlerer Angeberattitüde, um mir zu zeigen, wer das letzte Wort oder den längsten habe. Er aber beharrte auf der pingeligen Feststellung, daß selbst im Falle der langsamsten Verbindung eine Stunde und 47 Minuten auf der Strecke nicht überschritten würde. Diese Zeit traute er mir offenbar nicht ansatzweise mit dem Fahrrad zu. Pah!
Wir hatten die Optionen gerade exakt besprochen, da parkte er mit seinem Auto just vor der Sporthalle ein. Wir gingen in unsere Kabine und begrüßten die anderen fröhlich mit dem (bei uns im Osten ja stets allgemein üblichen) „Sieg heil“ und plauderten einige Sätze über die Abmachung und die Wette. Das gab allerlei Hallodri und begeisterte Zustimmung, etliche Zweifel und ein paar dreiste und vorwitzige Anwürfe gegen mich ob vermuteter Prahlerei. Gewiß nur versteckte Hochachtung vor der enormen sportlichen Leistung, machte ich mir selbst überlegen klar. Immerhin war ich beim Fußball geradezu gefürchtet für meine ungeheuer schnellen Blitzattacken in Richtung Tor, bei Freund wie Feind. Daß ich mich indes oft im Gelände herumtrieb, viel unterwegs mit dem Auto war und unsere Heimatregion kannte wie die Schlüpfer aller meiner Freundinnen, wußten die meisten wahrscheinlich auch. Und so hielt es vielleicht der eine oder andere für möglich, daß ich gewiefte Streckenkenntnis haben würde und irgendwelche geheimen Abkürzungen oder besondere Zweirad-Schnellstrecken kennte …
Bereits zwei Wochen später konnte ich meinem Sportkameraden den Vollzug melden. Gleich beim Eintreffen mit dem Abholwagen überraschte ich ihn mit der Nachricht, die Wette („selbstverständlich!“) gewonnen zu haben. Er wollte es, Potzblitz!, nicht glauben. Ich erzählte ihm, zwei Tage vorher in Erfurt kurz nach 6 gestartet zu sein, und etwas vor 07:30 Uhr bereits in Herrmannsacker angekommen zu sein:
„Genau eine Stunde und dreiundzwanzig Minuten!“
„Das kann nicht sein!“, höhnte Leander, „nie und nimmer, das glaube ich nicht. Wie willst du denn da gefahren sein? Das mußt du mir beweisen!“
„Kein Ding“, parierte ich artig, nahm mein Telefon heraus, öffnete die entsprechende App und zeigte ihm die aufgezeichnete Route mit den Echtzeitdaten. Skeptisch schaute er auf das Display, stutzte, sah, daß die Zeiten alle stimmten, fuhr in Gedanken mit dem Blick die Strecke ab und begann zweifelnde Fragen zu stellen.
„Bist du etwa Autobahn gefahren?“
Bevor ich antworten konnte, fiel sein Blick auf die ebenfalls dargestellte Durchschnittsgeschwindigkeit. Hier stand 58,3 Kilometer pro Stunde.
„Hey, du bist mit dem Auto gefahren, du Schwindler!“, erkannte er.
„Si claro“, gab ich zu. „Aber ich hatte das Fahrrad dabei. Ich bin m i t d e m Fahrrad gefahren. Ich hätte ja auch o h n e Fahrrad fahren können und trotzdem im Auto sitzen … “ Ich grinste ihn oberschlau an. Sowas kann ich wirklich gut.
„Oh nee, du altes Schlitzohr, das hätte ich mir ja denken können! So haben wir nicht gewettet!“
Eine Weile gingen unsere Entgegnungen fidel hin und her, und es dauerte nicht lange, bis ich ihn überzeugt hatte, die Wette im Wortsinn eindeutig gewonnen zu haben. Ganz der Ehrensportsmann von Welt und getreue Eckehardt, sicherte er mir anständig das versprochene Bier zu. Da legte ich listig nach.
„Aber jetzt ganz im Ernst. Ich würde mit dir auch wetten, daß ich wirklich auf dem Fahrrad und mit dem Fahrrad – also selbstfahrend – schneller als der Zug bin!“
Leander schaute mich wieder prüfend und etwas argwöhnisch von der Seite an, während er fuhr.
„Also genauso wie du eigentlich dachtest!“
„Ha, wie soll das gehen? Du kannst auf keinen Fall schneller sein als eine Stunde und 45 Minuten, nur mit dem Beik[1] und Muskelkraft. Daß der Zug nicht länger als eine und eine dreiviertel Stunde braucht, wissen wir ja. Oder kennst du irgendwelche geheimen Abkürzungen durch die Matrix?“ Er lächelte spitz. Zu spitz.
„Nein“, antwortete ich gemächlich, „ich fahre ganz normal mit dem Fahrrad auf regulären Straßen. Und natürlich fahre ich eine gute und kurze und vor allem gut geeignete Strecke fürs Fahrrad. Aber wenn es schon ein Wettrennen sein soll oder ein Wettkampf gegeneinander, also gegen die Bahn, dann sollte das auch zeitgleich stattfinden. “
„Wie meinst du das?“.
„Na jaaaa“, sagte ich gedehnt, „ich meine, ich starte wirklich zeitgleich mit dem Zug. Wenn wir beide ein Wettrennen gegeneinander machen würden, dann würden wir ja auch gleichzeitig starten und ich nicht einfach nur alleine laufen, damit du deine angeblich üblichen Zeiten dagegen stellst. Das heißt, ich suche mir eine für mich ideale Startzeit aus, um in guter Form zu sein, und fahre dann am Bahnhof mit dem Fahrrad los, in derselben Minute, in welcher auch der Zug startet.“
„Aha. Und dann willst du also schneller am Ziel sein als die Bahn?“
„Exaktamente!“
Erneut schaute er mich halb süffisant, halb skeptisch, halb mit einer Spur von Bewunderung (wahrscheinlich vor meiner Chuzpe) von der Seite an.
„Aber diesmal“ sprach ich weiter, „mache ich das nicht nur für e i n Bier. Da mußt du schon etwas mehr drauflegen, für diese Leistung.“ Das Gespräch wogte eine ganze Weile energiereich hin und her, mit Spott, mit Lachen, mit kameradschaftlicher Verachtung und einigen Aufschneidereien, und die Fahrt war nun wieder bereits recht kurzweilig zu Ende, als wir uns mehr oder weniger geeinigt hatten.
„Eine Kiste Bier kriege ich von Leander künftig jedes Mal, und noch eine Flasche extra bei Bedarf – nach´m Sport!“ gab ich gleich fröhlich in die Runde der anderen Turnschuhhelden beim Eintritt in die Kabine. Allgemeines Staunen, Aufmerksamkeitsgerede, und schon war unsere alte und neue Wette wieder das Gesprächsthema. Wir gaben die Details noch einmal zum Besten. Vorher mußte ich natürlich noch die gewonnene Wette aufklären – zum allgemeinen Gelächter. Dann wurde ernsthaft diskutiert, ob es wirklich zu schaffen sei? Für 70 Kilometer, plusminus, dafür würde man doch im Allgemeinen zweieinhalb bis drei Stunden brauchen, auf jeden Fall ein sehr schnelles Rad haben müssen und wahrlich gut trainiert sein?! Die Höhenmeter wollte auch noch jemand berücksichtigt wissen, das sei wohl nicht ganz unerheblich. Da ginge es ja doch bergauf? Ob ich vorher koksen wolle, fragte jemand zum allgemeinen Jubel.
„Na ja, das sind doch nur 35 Kilometer pro Stunde, die man fahren muß“, dachte jemand laut nach. Und solches würde man ja grundsätzlich hinkriegen, aber auf keinen Fall im Durchschnitt über zwei Stunden, mehr oder weniger über Berg und Tal, mitten durchs Gelände …“
„Da müßte es schon einen durchgehenden, asphaltierten, völlig geraden Weg geben, auf dem man richtig durchrasen könnte!“ schlaumichelte ein anderer. Kurzum, es wurde gefachsimpelt, abgewogen, gezweifelt, manche Anekdote zum Besten gegeben, manche sportlichen Höchstleistungen von dem einen oder dem anderen auf dem Rad, oder was man hier und da gehört und gelesen habe über großartige Leistungen von Spitzenradlern. Da sei etwa mal ein Sattelstürmer zwischen den Alpen und der Ostsee nur 21 Stunden am Stück unterwegs gewesen, hatte demnach eine Zeitungsmeldung behauptet, und das wären ja immerhin etwa 850 Kilometer. Und so weiter, und so weiter …
Schließlich hatten sich alle umgezogen und wir begannen unser Schuhsohlenballett etwas verspätet. Anderthalb Stunden später wurde das Thema noch einmal kurz aufgegriffen, aber diesmal ohne Leidenschaft und nur mit ein paar flunkernden Worten. Auf der Heimfahrt besprach ich mit meinem Wettgegner noch das endgültige Szenario. Wir einigten uns darauf, daß ich mir also eine Zeit meiner Wahl aussuchen könne, und dann zeitgleich mit dem Zug in Erfurt starten würde. Er würde dabei sein und den Start beobachten und dokumentieren. Ich wiederum die Fahrt und den Streckenverlauf mit dem Telefon-Navi aufzeichnen, und unmittelbar nach Ankunft ein eindeutiges Foto am Ziel machen und ihm per Telegram schicken.
„Und zwar mit auslesbaren Daten, beziehungsweise Zeitstempel!“
„Du scheinst mir ja nicht gerade zu vertrauen“, frotzelte ich.
„Na, nach der Nummer neulich …!“
Aber das war von Leander offensichtlich nicht ganz ernst gemeint, denn er hielt mir freundschaftlich die Hand hin, um noch einmal einzuschlagen und sich gleichzeitig zu verabschieden bis nächster Woche, denn wir standen bereits vor meiner Haustür.
Am Samstag darauf, nur 3 Tage später, rief ich ihn an, um ihm mitzuteilen, daß ich am gleichen Abend noch fahren würde. „Kannst du zum Bahnhof kommen?“
Als er hörte, daß ich erst mitten in der Nacht fahren wollte, weil ich da am leistungsfähigsten sei und obendrein eine völlig freie Strecke hätte, winkte er ab.[2]
„Samstag halb Elf? Das ist mir echt zu spät, ich hab am Sonntag noch was vor mit meiner Familie. Da will ich nicht so spät aufstehen, außerdem wäre meine Liebste sauer.“
„Na gut. Aber ich starte trotzdem 22:30 Uhr am Bahnhof, das paßt für mich zeitlich wirklich gut, und nachts bin ich in Bestform, du weißt ja.“
Leander ulkte zu der Bemerkung noch irgendwas und war dann einverstanden.
Mitten in der dunkelsten Nacht dann schrieb ich ihm eine kurze Nachricht, daß ich die Wette abermals gewonnen hätte. Ich gab die Erklärung gleich dazu: Ich sei zwar erst gegen 04:00 Uhr früh angekommen am Ziel, doch der erste Zug erst 06:20 Uhr. Denn in der Nacht um 22:30 Uhr sei in Erfurt gar kein Zug mehr Richtung Nordhausen abgefahren …
Es dauerte bis zum Abend, bis ich eine Antwort bekam.
„Das diskutieren wir auf der Fahrt!“
Ich war mir nicht ganz sicher, mit welcher Stimmung er mich abholen würde, und wie meine Karten stünden? Als ich dann am kommenden Donnerstag Leander abholte – diesmal fuhren wir mit meinem Auto – und ihn gleich noch einmal an meine gewonnene Wette vom vergangenen Sonntag hinwies und meine ziemlich stringente Begründung dazu vortrug, echauffierte er sich einigermaßen über meine Bauernfängerei, meine „Fickfackereien“[3] und meine angeblich naseweise Spitzfindigkeit. Als wir nach erregtem Austausch auf der Strecke wiederum am Ziel ankamen, hatte ich ihn allerdings überzeugt, die Wette im Wortsinn völlig korrekt gewonnen zu haben: schließlich hätten wir ja ausgemacht, daß ich mir die Startzeit frei aussuchen könne. Etwa nicht? Und es ging um nichts Anderes, als daß ich eben schneller am Ziel sei mit dem Fahrrad als mit der Bahn. Und genau das sei schließlich eingetroffen.
„Das ist ein Betrüger, dieser … [hier nannte er meinen Nachnamen][4], unglaublich!!“
wetterte diesmal der Bursche gleich beim Eintreffen im Umkleideraum, wo erst zwei Fußballkameraden saßen und gemächlich ihren Tüdel auspackten: offensichtlich waren wir diesmal relativ früh dran. Ich schaute auf die Uhr und erkannte, daß ich einen ziemlich heißen Reifen gefahren war, zumal im anfänglichen Wortgefecht. Die Sportfreunde, auch die nach und nach hinzukommenden, diskutierten dann meine achtbare Leistung. Immerhin war ich tatsächlich 72 Kilometer mitten in der Nacht gefahren in 4 Stunden, was einen passablen Fahrtdurchschnitt von rund 18 Stundenkilometern ergab; damit hatte ich einige Anerkennung, ebenso wie einige spöttische Worte und Witze über meine bekannte Nachtfuchsigkeit und das Eulendasein. Es herrschte jedoch allgemeine Einigkeit darin, daß ich die Wette ziemlich eindeutig gewonnen habe. Wenngleich der eine oder andere sich kaum Mühe gab, ein maliziöses Grinsen zu unterdrücken.
„Na gut, aber ich muß die Kiste nicht gleich auf einen Schlag mitbringen, OK? Wir stottern das nach und nach ab, jedes Mal ein oder zwei Flaschen, gut?“
Als mein Wettpartner mit diesen Worten klein beigab, ergänzte ich gönnerhaft:
„Klar, gerne, null problemo!“
Nicht nur, weil ich diesen Abend etliche Tore geschossen hatte und ungeheuer euphorisch drauf war, sondern auch wegen der schlawinernd gewonnenen Wette, schlug ich beiden Mitfahrern auf der Heimfahrt Folgendes vor:
„Also gut, Leni, ich mach dir jetzt ein faires Angebot. Du kannst dir die Kiste wieder zurückgewinnen, obendrein leg ich noch 50 Euro drauf. Oder nein, nicht 50 Euro, sondern das Angebot, dich jedes Mal zum Sport zu fahren. Das heißt also, wenn du die Wette gewinnst, die ich dir jetzt vorschlage. Dann fahren wir nur noch mit meinem Auto, selbstverständlich ohne Spritkostenbeteiligung für dich!“
„Na, jetze bin ich aber gespannt. Was kommt denn jetzt?“
„Na komm, paß auf: Es geht nochmal um die gleiche Strecke von Erfurt nach Herrmannsacker. Ich behaupte weiterhin, mit dem Fahrrad schneller zu sein als die Bahn, und zwar eindeutig! Ich fahre selbst, ich sitze auf dem Fahrrad, nutze nur meine eigene Muskelkraft, und messe mich direkt am schnellsten Zug, den es gibt, genau auf dieser Stecke also, und das in Echtzeit und wirklich gleicher Startzeit. Das heißt, ich suche mir irgendwann am Nachmittag – oder wenn es eben paßt – eine gute Verbindung heraus, und starte dann wirklich zeitgleich mit dem Zug am Bahnhof. Du kannst gerne dabei sein; oder wenn du willst, auch die ganze Strecke mitfahren mit dem Auto, oder meinetwegen auch mit dem Fahrrad. Oder ich organisiere jemanden am Ziel, beispielsweise meine Freundin, die als Zeuge bestätigt, wann ich ankomme. Wetteinsatz sind also 2 Kisten Bier und dauerhafte Fahrt mit dem Auto zum Sport!“
Leander gluckste, machte ein paar undefinierte Bemerkungen und Geräusche, und schwieg dann eine Weile. Einerseits war er wohl vom kurzeitigen Konzentrieren an etwas schwierigen Einbiegungen an der Stadtausfahrt in Beschlag genommen, andererseits überlegte er erkennbar angestrengt, was ich diesmal wohl für eine Schurkerei im Sinn hätte, oder ob das Angebot etwa ernst gemeint sei?
„Also diesmal fährst du wirklich selbst mit dem Fahrrad? Du sitzt auf deinem Fahrrad und strampelst selbst, komplett? Und zwar genau auf der Strecke – ohne ein Auto zu nehmen oder zwischendurch irgendwie umzusteigen in ein anderes motorbetriebenes Vehikel, ohne zwischendurch die Bahn zu nutzen, bei jemanden mit dem Auto mitzufahren oder irgendwelche Tricks? Und wir vergleichen nur genau die Ankunftszeit des Zugs, mit dem du gleichzeitig gestartet bist, ja?“ Der ganz rationale Ingenieur blitzte in ihm hervor.
„Ja, genau so!“, bestätigte ich ihm. „Gaaanz genau so!“
Er ließ sich den Vorschlag noch eine Weile durch den Kopf gehen, wir beklüngelten noch eine Weile den Wetteinsatz. Die zwei Kisten Bier mit Sorten nach eigener Wahl standen nicht zur Disposition; nur das Angebot mit dem lebenslangen Mitfahren im Auto mußte noch exakt ausgehandelt werden, doch auch darauf konnten wir uns einigen. Würde er die Wette gewinnen, ganz einfach, hätte ich also künftig immer mit meinem Auto zu unserer Halle in der Nachbarstadt zu fahren, und ihn dabei kostenfrei mitzunehmen – außer natürlich in Sonder- oder Notfällen wie Autoreparatur oder Ähnlichem. Und umgekehrt würde das Gleiche gelten für ihn. Simple Sache.
„Also gut!“
Leander streckte mir die Hand hin. „So machen wir das: Ich wette, daß du mit deinem Fahrrad länger brauchst als die Bahn, das war ja deine ursprüngliche Aussage. Und ich werde die Wette gewinnen. Das steht ja wohl fest!“
Siegessicher griente er mich an. Ich schlug in seine ausgestreckte Hand ein.
Diesmal waren wir spät dran. Die anderen standen schon auf dem Spielfeld, und wir hatten uns nur zügig umzuziehen und aufs Parkett zu eilen. Deswegen gab es gar kein weiteres Gespräch zum Thema, und auch im Anschluß hatte irgend jemand anders ein spannendes aktuelles Erlebnis zu erzählen, abgesehen davon, daß wie immer die Spielstände, Torjagden und einzelne Sonderaktionen ausgiebig kommentiert wurden bei der obligatorischen Hopfenbrause. Mithin kamen wir gar nicht dazu, über die neuerliche Zockerrunde zu sprechen. Erst bei den nächsten Treffen machte unser abenteuerliches Radprojekt die Runde, denn es vergingen einige Monate bis zum nächsten Frühjahr, bis ich den Rekordritt überhaupt, Achtung Wortspiel!, antreten konnte.
Diesmal war es um Zwei nachmittags, als Leander und ich uns tatsächlich am Erfurter Bahnhof trafen. Er schaute skeptisch auf mein relativ üppiges Gepäck, die eher gewöhnliche Kluft, und darüber, daß ich lediglich mit meinem schlichten Tourenrad zu der sportlichen Bestleistung antreten wollte – anstelle einer hochgezüchteten Carbon-Spitzenmaschine und neonfarbenen, hautengen Radlerklamotte samt aerodynamisch geformtem Sturzhelm … So, wie er sich das offensichtlich vorgestellt hatte. Ich lächelte überlegen.
„Mach dir keine Sorge, ich werde auch mit dieser Ausrüstung gewinnen.“
„Nie und nimmer!“
entgegnete er triumphierend und mit einem breitspurigen Grinsen. Ich begnügte mich mit einen einem mehrdeutigen „Mmmm …“ als Antwort.
14:22 Uhr startete ich mit straffem Antritt quasi minutengleich mit dem Zug in Richtung Nordhausen, nachdem mein lieber Wettkumpel sich noch vergewissert hatte, daß es die richtige Verbindung sei. Immerhin sauste ich prompt rasant los. Er winkte mir noch hinterher, als ich mich kurz umblickte – ich winkte zurück. Wir feixten beide. 15:55 Uhr erhielt ich, mitten auf der Strecke, von ihm eine kecke Kurznachricht:
„Na, schon angekommen? Der Zug müßte bereits da sein! So behauptet es zumindest die Bahnseite …“ Dahinter ein Grien-Smiley mit offenen Zähnen. Da ich noch tüchtig strampelte auf freier Strecke, nahm ich das nur amüsiert zur Kenntnis und antwortete erst, als ich endgültig am Ziel war. Ich machte ein Video-Selfie vom winzigen Marktplatz in Herrmannsacker mit einem Rundumschwenk, um es ihm zu senden, und kommentierte dazu:
„Also paß auf, es ist jetzt dreiviertel Acht, ich bin sozusagen am Ziel. Aber hier ist weit und breit kein Zug aus Erfurt zu sehen!“
Ich ließ die Kamera noch einmal bedächtig über eine Kapelle, drei verträumte Gärtchen und zwei Handvoll alte, verschlafene Handwerkerhäuser schwenken.
„Wenn ich ganz ehrlich bin, sehe ich noch nicht mal einen Bahnhof irgendwo. Da dürfte es ein Zug auch schwer haben.“ Bevor mir das Lachen aus der Kehle übergluckste, schaltete ich ab und sendete die Botschaft.
Ich bekam keine Antwort an dem Tag. Auch an den folgenden nicht. Am darauffolgenden Donnerstag fiel unser Sporttermin mangels genügender Teilnehmer leider aus, ebenso die Woche danach. Erst 3 Wochen später kam ich mit Leander wieder in Kontakt, und zwar anderthalb Stunden vor unserem Hallentermin. Er schrieb mir aufs Telefon:
„Wann kommst du vorbei und holst mich ab?!“
Ich schrieb zurück:
„Du mußt m i c h abholen! Ich habe die Wette gewonnen. 10 nach 7 bei mir vorm Haus!“
Tatsächlich war er kurz nach Sieben bei mir, öffnete die Tür und platzte mir gleich entgegen:
„Das kannst du voll vergessen, daß ich dir zwei Kisten Bier zahle! Das ist absoluter Betrug!“
Diesmal konnte ich während unserer 30minütigen Fahrt trotz wortreicher Vorträge und Erklärungen und erläuternder Hilfskonstruktionen keinen Durchbruch erreichen oder Fortschritte in seiner kleinlichen Einsicht erzielen. Leander schwieg hartnäckig, und wiederholte nur immer wieder, recht einsilbig, das sei „absoluter Betrug!“, während er sich stur auf die Straße konzentrierte und wirklich grenzwertig raste. Beim schwungvollen Einbiegen in die letzte freie Nische auf dem Parkplatz vor dem Schwitzpalast fehlte nicht viel, und wir hätten mit dem rechten Kotflügel vorn den Stoßfänger des Nachbarautos eingedrückt. Wahrscheinlich war es links hinten ebenso knapp gewesen. Nach einem heftigen Bremsruck – es drückte mich stramm in den Gurt, doch ich ließ mir nichts weiter anmerken, lässig wie ich bin – stand sein großräumiger und für meinen Geschmack etwas zu protziger Geländewagen still.
Erst, als wir wieder unter den Sportkameraden saßen und ich die Episode zum Besten gab, ließ sich mein Kontrahent wieder auf den Austausch einiger halbgewalkter Argumente ein. Das Gelächter und die Possen der Kicker lockten ihn aus der Reserve. Ich verteidigte meine Position, gewohnt sachlich:
„Es ging von Anfang an immer nur um unser Blockhaus bei Hermannsacker, und ich habe immer nur gesagt, daß ich dort mit meinem Fahrrad schneller hinkomme als mit der Bahn. Und das stimmt auf jeden Fall. Schon allein deshalb, weil man mit der Bahn letztlich überhaupt nicht hinkommt!“
Johlen, Gelächter, höhnisches Lachen, liebevolle Zurufe wie „hinterfotziger Schlawiner“ und „du solltest in die Politik gehen, Freundchen!“ reihum, wobei ich die härteren Kraftausdrücke zu meinen Lasten hier anstandshalber verschweigen will. Letztlich wurde die Wette aber nach lebhaftem Disput untereinander und schließlich sozusagen demokratischer Abstimmung durch die 7 Teilnehmer entschieden. 4 zu 3 zu meinen Gunsten![5] „Tatsächlich wie in der Politik“, gestand ich mir heimlich ein.) Zähneknirschend akzeptierte mein immer noch ernsthaft ergrimmter Fahrkumpel-Fußballer das Ergebnis mit den Worten:
„Mit dem alten Betrüger mach ich nie wieder eine Wette!!!“, konnte sich dann aber doch noch zu einem verkrampften Schmunzeln durchringen – oder es sich schlichtweg nicht verkneifen. Es war geradezu folgerichtig, daß ich diesmal nicht mit Leander zusammen in einer Mannschaft spielte, sondern er – wie gewohnt vor allem im Tor überragend brillant – alles von unserer Seite sozusagen mit Zähnen und Klauen und eisernem Willen abwetterte, jeden Ball und jeden Schuß, allem voran bei meinen Angriffen. Natürlich. Tatsächlich gelang es mir nicht, auch nur ein einziges Mal an diesem Abend seine offensichtlich aus Beton und Stein und Stahl bestehende Mauer im Tor zu überwinden, bei immerhin insgesamt 22 Toren und letztlichem Spielstand von 14 zu 8 für die Gegner. Obwohl wir gerannt waren wie die Teufel und keinen Hackentrick, keine Finte und keine Chance ausgelassen hatten.
Erschöpft reichte er mir dann mit einem nun doch freundlicher gesinnten Lächeln die erste Flasche Bier aus dem Kasten nach dem Spiel, genauso erschöpft wie ich nach den ungezählten, indes erfolglosen Angriffen. Ein Grinsen machte die Runde unter den Sockerkollegen[6], und es wurde noch manche spitzfindiges Histörchen zum Besten gegeben …
Epilog
Um der Wahrheit und dem Wettverlierer die Ehre zu geben, will ich anfügen, daß er schon beim nächsten Fußballtreff tatsächlich zwei gut gemischte Kisten bester Malztrünke mitbrachte und mir mit gnädig-herablassendem Lächeln vor die Füße stellte. Am Ende des Spiels dann wollte ich kein knickriger Gewinner sein und gab natürlich großmütig mehrere Runden aus, sodaß der Inhalt der Flaschen aus knapp 2 Kästen in die durstigen Kehlen gluckste – was angesichts der Tatsache, daß quasi alle zumindest noch eine gewisse Strecke, und sei es per Pedal, heimzufahren hatten, doch übermutreichlich schien. Andererseits waren wir diesmal erfreulicherweise in Maximalbesetzung mit vollen 10 Sportlern aufgelaufen, was die Sache relativierte[7]. Die übrigbleibenden Flaschen versteckten wir leichtsinnigerweise und wohl suffselig im Spind in der naiven Hoffnung, sie in kommenden Woche daselbst wiederzufinden. (Sie waren natürlich nicht mehr da.) Dafür kursierte in unserer Runde seither bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit die Redewendung „dreimal gewonnen, ganz klar!“ – stets von allgemeinem Gelächter begleitet und allemal mit einem neckischen Seitenblick in meine Richtung.
[1] In Wirklichkeit sagte er sicher „Bike“, aber ich hörte natürlich „Beik“.
[2] Das sah ich natürlich nicht, reimte es mir aber so bildlich zusammen.
[3] Das drollige Wort hatte ich noch nie gehört – und war sogleich ein bißchen stolz auf die unterstellte Vermutungseigenschaft.
[4] Natürlich nur meinen bürgerlichen Namen. Daß ich in Wirklichkeit Theophrastus Bombastus Fux, Freiherr von Tennenlohe, Breslau und Zimpel heiße, verrate ich üblicherweise kaum jemanden; es ist schlicht zu lang zum merken und provoziert unangenehme Fragereien ob des Adels. Ich hoffe allerdings stets, man merke mir diesen sowieso an.
[5] Selbstredend gehörte Leander zur Dreierfraktion, ich zur Vierer.
[6] Natürlich weiß ich, daß man eigentlich „Soccer“ schrieben müßte, aber mit „Socken“ hat es schließlich auch intensiv zu tun, vor allem nach dem Spiel.
[7] Darunter übrigens auch eine Frau, noch dazu eine attraktive. Mein Gott, wie schön! - diesmal erkannte ich es wirklich erst richtig ...
28. August 2025
[Reportage] Die Enklave in Sachsen
Das Jahr 2007. Ganz Sachsen gehört zu Sachsen. Ganz Sachsen? Nein! Ein winziges Anwesen mitten im Land leistet erbitterten Widerstand. Mit eigenen Steuern und Pässen und ausländischen Vertretungen. Wer hier wohnt, ist Groß-Mützenauer. Wer hier ein- und ausgeht, gehört zur internationalen Prominenz: mindestens jener der Kabarettszene.

Seiner Liebe zur Schiene entspringt auch das kleine, aber urige Eisenbahnmuseum auf seinem Anwesen. Das hat Lehmann damit fast ganz zum stillgelegten Haltepunkt direkt an der Mulde mit Gleisen und Prellbock und Signal und Hemmschuh und Lok und Draisine und Warnschild und Vorschriften und Fahrscheinselbstverkäufer und Waggonoberbelüftungsdrehluftschieberhäuschen und und und undgest- … nein, umgestaltet. Und eben derselben Liebe entspringt die Idee, regelmäßig rund um den Globus zu reisen und so ziemlich überall nach Eisenbahnermützen bei Kollegen zu fragen.
Deren besitzt er nun Aberdutzende, viele in seiner Kneipe unter der Decke hängend zu bestaunen. Und von welchen – seinem aufmerksamem niederländischen Honorarkonsul sei Dank – der Name des sächsischen Gebietseinschlusses stammt: Mützenau. Aber Mützenau klingt banal, so wie Britannien. Was wäre beides ohne das "Groß-" davor? (Gerade enge Länder brauchen etwas zusätzliche Größe.) Geht es etwa um Groß-Mannssucht? Nein, um Kultur und Witz geht es. Deswegen gibt es hier auch nicht etwa das größte Hotel der Welt, sondern das kleinste. Untergebracht in einem Koffer. Das „Kofftel“. (Für maximal zwei Personen gleichzeitig mit höchstens je einer Tasche; plus Außendusche.) Und deswegen veranstaltet der umtriebige Muldentaler vor Ort regelmäßig Lesungen und Ausstellungen weitbekannter Künstler und Kartoonisten. Und zwar solcher Kunstjünger, die man auch über Groß-Mützenau hinaus kennt – wahlweise in München, Hamburg oder Görkwitz. Legendär und weithin aufsehenerregend etwa die im Frühjahr 2017 durchgeführte Vernissage einer nicht unbedeutenden Erfurter Agentur unter dem Titel "Goethes Faustkeil".
Das Land
Sachsen wirbt seit einigen Jahren mit der Kampagne „So geht sächsisch.“ Und hat
dabei neuerdings, wie man hört aus gewöhnlich ungewöhnlich gut informierten
Kreisen,
gewisse Ansehensprobleme mit Weilern wie Dresden oder Marktflecken namens Chemnitz; vielleicht geht sächsisch ja so besser: Als Schutzmacht und Exklave um Groß-Mützenau? So oder so ist Groß-Mützenau auch von befreundeten europäischen Nachbarstaaten wie Thüringen aus gut erreichbar, einstweilen noch ohne Visum und Spachbarrieren. Bei der Gelegenheit könnte der geneigte Weltenbummler zudem einen kurzen Abstecher nach Amerika machen, ebenso unbürokratisch, denn der gleichnamige Ort mit Bahnhof im Muldental ist nur eine doppelte Hutlänge entfernt. Ein großmännisches Selfie mit Ortschild wäre es allemal wert. Sowas soll ja neuerdings gerade in der Politik ziemlich gut ankommen, gerade bei Oberlangmützen.
einzig in seiner Funktion als völlig wertfreier und unparteiischer Reporter
verantwortlich - keineswegs in seiner rein zufälligen Ehren-Funktion als
„SENATOR FÜR WORTAKROBATIK AUF GUT DEUTSCH“
in Groß-Mützenau]
Transparenzhinwweis: Selbstverständlich ist es ebenfalls reinster Zufall,
daß Matthias Lehmann offizieller Wortpate für das Wort "Suppenteller"
bei der weltweit einmaligen Aktion Wortpatenschaft ist.














