Das Geschenk
Der Mann erzählte viel. Viel erzählte er. Er erzählte viel, und nur von seiner Frau. Hier läge sie, und er komme seit zwei Jahren täglich her. Nicht einen Tag habe er ausgelassen. „Hier?“, fragte ich überrascht, denn wir waren inmitten eines schönen Waldes. Ja, das sei doch der Friedwald. Der Wald, wo man die Asche der Verstorbenen verstreue, anstelle des Friedhofs.
Nach meinem Erkennen kam er gleich wieder auf sein
Thema zurück. Was er und seine Verschiedene früher alles miteinander getan
hätten. Was für ein schönes Lachen sie gehabt habe. Die schönen Haare, die
dunklen Locken. Welche Sanftmut ihr eigen gewesen sei und doch auch Esprit. Wie
liebevoll sie mit ihm umgegangen sei, und wie liebevoll er mit ihr. Was für
eine wunderbare Frau sie gewesen sei. Und dann, einfach weggegangen sei sie von
ihm, am Ende der bösen Krankheit – mußte ihn alleinlassen, nichts habe man tun
können, auch er nicht …
Er hob seine verstorbene Frau und seine Zeit mit ihr
in den Himmel, in seinen Gedanken und mit seinen Worten. Von Einsamkeit und
Niedergeschlagenheit sprach er nicht. Dafür war er zu vornehm, mit seiner
Trauer wollte er niemanden behelligen. Nicht mit Worten jedenfalls. Doch seine Haltung,
die Sprechweise, seine vage Ideenflucht sprachen rege, und die Augen erzählten
alles.
„Wollen Sie weiter trauern?“, frage ich sanft.
Irritiert unterbrach er seine Geschichten. Am seinem Blick erkannte ich eine schwache
Hoffnung auf ein Ende des Leids, vielleicht nur ein zartes Interesse der
Überraschung.
„Wenn sie Jemandem etwas schenken, das sie in Ruhe
und mit Sorgfalt ausgesucht oder gefertigt haben: Welche Reaktion wünschen sie
sich vom Beschenkten? Sie hoffen, daß er sich freut – damit sie sich mitfreuen können,
nicht?“
„Ja … ja.“
„Viele Jahre lang war deine Frau für dich da. Teilte
Freud und Leid mit dir, gab sich dir hin. Ist das nicht das größte Geschenk,
das ein Mensch einem anderen bereiten kann?“ Er nickte stumm.
„Doch es gibt noch ein größeres Geschenk. Dazu
braucht man alles an Liebe, was man in sich tragen kann. Es kostet viel Mühe
und Kraft, völlige Selbstlosigkeit, und absolutes Vertrauen in den anderen.
Indem deine Frau von dir gegangen ist, hat sie dir dieses größte aller Geschenke
gemacht. Die Gabe, das Loslassen lernen zu können. Das Loslassen des Geliebten.
Die schwerste Übung von allen! Jemandem zeigen, daß er auf eigenen Beinen
stehen kann, für sich allein völlig glücklich sein kann. Und etwas einfach annehmen
kann ...“
Er schaute zu Boden, ich folgte seinem Blick. Wir
schwiegen einen Moment.
„Sieh, mein Lieber, dir hat sie dieses Geschenk
gemacht, und hat das Höchste dafür gegeben. Nimm es in Liebe an. Öffne es.
Würdige es. Indem Du es würdigst, es wertschätzt, dich daran freust, ehrst du
die Liebe zu ihr noch mehr als mit deiner Trauer.“