10. Dezember 2023

[Schilderung] Erotische Fragmente

 

Die Frau war ein einziges Versprechen zur Lust. Zur ungezügelten Erotik.

Ich suche nach dem richtigen Wort, das sie beschreibt. Ja, sie hatte auch etwas Mädchenhaftes. Natürlich, mit ihren siebzehneinhalb Jahren! Mädchenhafte Rundungen, etwas fast Spitzbübiges im Lächeln. Das halbe Dutzend Armringe aus Lederbändchen am Handgelenk, ganz Gymnasiastin! Die farbigen Gummis im Haar, welche zwei, drei lustige Strähnchen aus dem schwarzen Schopf seitlich am Gesicht vorbeifallen ließen. Das vielleicht ein klein wenig pausbäckig zu nennende Lachen. Doch nein, pausbäckig! Wie altmodisch das klingt, wie verträumt, wie märchen- und jungenhaft … Doch, es war da, indes voll Sinnlichkeit. Vielleicht noch unerkannter, womöglich bereits geprüfter Sinnlichkeit?

 

In den rundlichen Wangen, in der gewölbten Stirn, im geschwungenen Gesicht mit der leicht gerundeten Nase und den gerade noch nicht üppig zu nennenden Lippen in den Bäckchen: Ein einziges Versprechen zur Lust. Ein großes Mädchen von strammem Körperbau – nicht dick zu nennen, doch gut gebaut, mit freundlichen Wölbungen der Brust und des Beckens, anmutigem Bäuchlein – ein Mädchen trotz allem; ein Mädchen in Sinn und Seele; doch die innenwohnende Urweiblichkeit im Körper nicht verhehlend! Allzu deutlich hervortretend, mit jeder Drehung des Kopfes gezeigt, mit jeder Handbewegung ausgeführt, mit jedem Schritt vollführt, und aus jeder Hautpore (ja, sagen wir es ruhig derb) die ungezügelte Fraulichkeit ausschwitzend. Wenig nur mußte man von Welt, von Frauen verstehen, um es schon zu erahnen, ja, zu spüren: Wie sie ihre wilde Lust hinausschreien würde, die sie jetzt schon, fast noch mit einem Mäntelchen aus mädchenhafter Schamhaftigkeit, ohne Worte allzu laut kundtat.

 

Ich muß ins Analytische, ins Wissenschaftliche wechseln. Es gibt Landkarten, welche die Welt nicht nach ihrer geografischen Ausdehnung, nicht nach ihrer Größenfläche zeigen. Sondern nach anderen Faktoren. Etwa der Wirtschaftskraft, etwa nach Kultur- oder Bevölkerungsdichte, etwa nach Verbrechenshäufigkeit. Als Weltkarte betrachtet, ist beispielsweise der deutsche Sprachraum in den beiden erstgenannten Kategorien quasi der Urkontinent Pangäa, die eurasische Landmasse in einem, und die meisten anderen Staaten Randerscheinungen oder Strichlein, falls überhaupt erkennbar. Stellt man als betrachteten Hauptfaktor die Verbreitung des Islam in den Vordergrund, gruppiert sich der ganze Globus als unbeleuchtete Nebenstatisterie um die arabische Sangesdiva; dann ist der östliche und südliche Mittelmeerraum ein gewaltiger Zierkürbis, auf dessen äußerer Schale sich ein mehr vermuteter als sichtbarer Pilzrasen ansiedelt, bestehend aus allen anderen Religionen. (Mag sein, daß manch hoffnungsfroher Mohammedaner die Welt so sieht.) Würde man das Kartenmodell auf dieses allzu frauliche  Mädchen übertragen: Ihr Schoß wäre das übergroße Zentrum! Ihr weibliches Zentrum, um das sich alles dreht; ihre Sinnlichkeit, zu der alles hinströmt. Ihr Unterleib wäre die fast einzig im Scheinwerferlicht stehende Primadonna des Ensembles.

 

Vielleicht ist das kulturelle Bild ein geeignetes, ja. Nur größer gefaßt. Vielleicht ein geeignetes Bild zu Beschreibung der Frauen allgemein und diesem fraulichen Mädchen, dieser mädchenhaften Frau im Besonderen. Ich denke sie mir als eine Spielstätte. Sie, die Frau. Es, das Mädchen. Es gibt viele Spielstätten, gewiß. Mittlere Häuser mit großem Anspruch und mittlere mit mittlerem, ja kleinem oder auch gar keinem.  Bildungsbürgerbretter, die deren oder sich die Welt bedeuten. Es gibt kleine Häuser. Es gibt ganz kleine. Es gibt Nebentheater und Kleinkunstbühnen. Es gibt welche, die entdeckst Du nur nach den Hinweisen im kostenlosen Veranstaltungskalender, und welche, die empfehlen dir kulturkundige Einwohner. Und dann findest Du sie großartig, überraschend professionell, genial geistreich oder geistreich genial. Es gibt Puppenbühnen, von denen du nie etwas liest oder hörst, die aber trotzdem einzigartig sind in ihrem fingerfertigem Spiel, den pittoresken Figuren; du kannst kuschlige Cabarets entdecken, die, wenn du sie entdeckt hast in den scheinbar unscheinbaren Hinterhöfen, dein ganzes Leben mit sensationeller Farbenpracht und Witz auf den Punkt spielen und ausleuchten in der Fülle von Schmerz und Freude, alle Außenwelt und Innenwelt. Es kann Jahre dauern, bis du die im Fichtenwald verborgenen Naturarenen hinter den sieben Bergen entdeckst, und dann wirft dich die Wucht ihrer Darbietungen um. Dann wunderst du dich, daß plötzlich alle Welt nur davon redet, jeder Held nur dort zu spielen wünscht, jeder Schurke einmal dort schon Gastspiel gab. Wie war es möglich, daß du vorher nie davon gehört?

 

Und dann gibt es noch die gewaltigen Festivals, die Theatertage der Stadt, die Abschlußaufführungen der Workshops, die Sommerbühnen: alles, was nur einmal sich zeigt oder wenige Male aufhübscht, heraussticht, sich beleuchtet, promenieren geht und aufgebauschte Prachtgewänder paradiert. Oder parodiert. All das sind so die verschiedenen Freudentempel und Häuschen der Lust. Die kleinen und großen Hütten des Dionysos. Die jährlichen Ritterspiele mancher Prinzessinnen, die Dornröschenschauspiele des Marionettenguckkastens. All das sind die Frauen mit ihrer verschiedenen Erotik, mit ihrer Scham, ihren geheimen Freudenreichen. (Natürlich, Freud mußte der Mann heißen, der das im Tiefsten erforschte!)

 

Jenes Mädchen aber, jene Frau, und ihre Scham – ihr Tempel der Lust, ihr magisches Machtzentrum, ihre heimliche Hauptstadt der Freude, ihr Tor zur Ewigkeit, ihre Kaaba im heiligen Mekka, ihr Petersdom im Rom der Katholiken, ihr Klondyke der Goldsucher, ihr Tal der Pyramiden für Altertumsforscher und ihre rote Venus für Himmelsfahrer – sie ist das erste Haus am Platz. Die beste Adresse. Der Treffpunkt für Einwohner wie Ortsunkundige. Nicht das höchste, doch das opulenteste Gebäude am Ort. Die Große Oper. Das Nationaltheater, der Staatszirkus. Allein die Einganghalle, das weite Vestibül, und schon die Prachtstufen davor: wie einladend, hinauf zu wandeln! Die aufgestellten Kriegerbüsten, die marmom´nen Skulpturen mancher Jünglinge mit blanker Brust, das Reiterstandbild des noblesten Fürsten davor. Alle Wege und Straßen führen direkt dahin, jede Zeitung spricht über Besetzung und Programm, du siehst es von überall. Überall liegen Handzettel aus, und jeder spricht darüber: Ob mit Worten oder Schweigen.

 

Die Spielpläne ändern sich, die Intendanten wechseln, ganze Ensembles mögen kommen und gehen: Es bleibt doch Attraktion für jeden. Ob Spielzeit oder Sommerpause: Es ist doch Aushängeschild der Stadt. Ob modisch schick herausgeputzt in allem Glanz, bespielt und bewundert, oder seit Jahren verloren, verwittert, verkommen und verwildert, mit off´nen Fensterhöhlen und eingestürzten Mauern: Es bleibt der schaurigschöne Mittelpunkt der Metropole mit erträumtem Schimmer alter Tage.

 

Doch diese „alten Tage“ standen hier noch bevor! Noch war es keine Bühne, kein großes Haus gar. Noch war es nur die Ahnung künftiger Triumphe, fernerer Heldentatenschausplätze, einzig wahrer Mittelpunkt staatstragender Inszenierungen. Noch kein Kolosseum, kein Rundkuppelbau, keine Panoramabühne. Kein angestrebtes Ziel für weithin sichtbar-sein- wollende Regisseure und staatserleuchtete Intendanten, kein Tummelplatz für ins Zentrum strebende Exzentriker, kein edelkandelabriger Palast für schauspielernde Politiker oder politisierende Schauspieler.

 

Und doch würde dereinst, und jetzt schon, alles sich drehen einzig um diese Spielstätte. Bespielt oder nicht. Voll oder leer. Beleuchtet oder im Dustern. Laut oder leise. Würde jeder Bürgersohn und jedes edle Bürschlein, jeder Adelsmann und jeder Arbeiter, ob Pimpf oder Parteigenosse, ob Burschenschaftler (sei´s Alter Herr, sei´s Fuchs), ob nun weitgereister Weltenbummler oder Wohnortspießer, sich in Gedanken oder Tat, bemühen, da hinein zu kommen! Würde kein einz´ger, arm oder reich in Beutel oder Birne, an diesem Platz vorbeizukommen in der Lage sein. Würde wildes Begehren oder vornehme Befangenheit (ja, Bescheidenheit scheint mir das bess´re Wort der Wahl zu sein!) zum gleichen Ziel hinführen.

 

Noch war es nicht soweit, zu jung noch war das frauliche Mädchen. Und doch schon konnte man es ahnen, riechen, fühlen, schmecken. Schmecken, fühlen, riechen und ertasten, es würde all das werden – sein. Und schon die ersten zarten Aufführungen noch junger, unbekannter Mimen: Welche Schauspiele und welche Darbietungen an dieser Rampe, in diesem Licht! Was für ein Haus der Freuden! Wie wird gesungen und getanzt! Wie wird geschrieen und verziehen, wie wird gejammert und geklammert, wie wird gestorben und verdorben. Was für Geschrei, Getobe, Zeter, Mordio lauter Lust!

 

Zwar stand dies alles noch bevor, stand bildlich geradezu bevor noch; doch konnte, mußte man schon ohne jeden Zweifel sein, daß diese beherrschenden Unterwelten, dieser Sinneshades und Orkus der Lust, diese nymphenreichen Feengrotten im Zauberreich, jeden noch so edlen Recken, jeden Ritter der großen Pose und Helden des Geistes früher oder später in das Labyrinth des Werdens und Verderbens führten. Das Mädchen war dafür gemacht. Hingeben würde sie sich jedem Eroberer mit aller eingeborenen Gefühligkeit und Freude, hemmungsfrei und offen allem gegenüber, wüst und direkt und lockend und begierlich. Wüst und direkt, und lockend und begierig selbst noch in ihrer Feinheit, Zurückhaltung und Abstinenz.

 

Das klingt nun alles so, als spräche ich von einer Dirne, einem Flittchen. Nein. Nein, und abermals nein! Das eben nicht. Ich wollte nur die natürliche Sexualität darstellen, die in ihr wohnte, die sie ausstrahlte. Um das Bild des Theaters noch einmal aufzugreifen: Bunt bespielt von einem festen Ensemble, geführt von einem guten Intendanten, den ganzen Fundus der Kostüme, Masken, Kulissen und der Programmbreite ausnutzend, die Höhe und Breite des Hauses von der Unterbühne bis zum Schnürboden verwendend, würde für Gastspiele weder Platz noch Notwendigkeit sein. Sie wäre, zumal klug und mit Gefühl, durchaus ein anständiges Madel, ehrbares Weib. Es ging mir nur um ihre eingeborene Wonne und körperliche Sinnlichkeit, ihr selbstgewisses Eva-Tum. Die natürliche, ungewollte und schlicht daseiende Präsenz ihrer puren Weiblichkeit, ja, das dauernde Versprechen ihres Schoßes, welches schon allein ihre Augen ausdrückten mit jedem Wimpernschlag. Welches ihre Lippen mit jedem Wort (und ohne jedes Wort) aussprachen, ihre Gesichtszüge, ihr Gang, ihre Beine bei jedem Schritt allzudeutlich verrieten. Sie konnte gar nicht anders – deswegen war sie völlig unschuldig darob und desto aufreizender damit.

 

Du fragst, ob sie hübsch sei? Nun. Schönheit entsteht im Auge des Betrachters. Schönheit wäre nicht ihre erste Tugend, und die Gaben sind gerecht verteilt. Ich schildere sie dir in einem Alter (das man Alter ja noch gar nicht nennen kann), da ein Mädchen schön sein mag, alle aber hübsch sind. Und, wie gesagt, größter Teil ihrer Schönheit war zuallererst ihre ungezügelte Lust, ihre natürliche Sexualität, die zu verhüllen sie keinerlei Notwendigkeit doch kannte.

29. November 2023

2. November 2023

Wie ein Deutscher die Welt erfand (und fast den ganzen Rest)

 

Atlas und Augenspiegel, Buchdruck und Brennstoffzelle, Dynamit und Dampfmaschine, Elektron und Ecstasy, Farbfilm und Fernsprecher, Gummi und Gesprächstherapie, Hybridantrieb und Humanismus, ISDN-Netz und Insulin, Jugenstil und Jenaglas: So geht es mit deutschen Erfindungen und Entdeckungen durch das ABC. Am anderen Ende: Volkslied, Wasserkunst, Xenon-Licht, Y-Achse und Zahnbürste. Und dazwischen Abertausende weitere grandiose Dinge, Gedankengebäude und Entdeckungen. Alltägliches wie Radio und Fax, Fernseher und Waschmaschine, Mineralwasser, Lautsprecher, Kinderspielzeug, Antibabypille, E-Buch. Praktisches wie Taschenuhr, -lampe und -rechner, Straßenbahn und Seilbahn, Spielfilm und Schullandheim. Fahrzeuge und Flugzeuge aller Art, die besten Panzer und U-Boote. Die meisten Gegenstände, ob groß (wie Luftschiff oder Schiffsschraube) oder klein (wie Reißzwecke und Funktelefon), ob entbehrlich (Comic) oder unentbehrlich (Computer), ob beliebt (MP3-Spieler) oder umstritten (digitales Mautsystem) stammen aus dem deutschen Sprachraum. Ja, auch Kernenergie und Atombombe hochenergetische Gedankenblitze deutscher Forscher, wenngleich vielleicht etwas schaurig. 

Wirklich wahr: Kolossal viele technische Erfindungen der Neuzeit sind heimischen Ursprungs. Daneben haben fast alle modernen Wissenschaften ihre Wiegen im deutschen Sprachraum, und bedeutende Musiker, Philosophen und Mathematiker aus D-A-CH haben der Welt viel mehr gegeben, als es mengenmäßig zu erwarten wäre nach unserer Bevölkerungszahl. „Das deutsche Jahrhundert“ nennen manche Globalstrategen und Historiker zugespitzt die Zeit etwa zwischen 1850 und 1945. Die deutschen Staaten, namentlich später das deutsche Kaiserreich in der Mitte Europas: Kulturell und sozial fortschrittlich, wirtschaftlich überlegen, wissenschaftlich konkurrenzlos. Von den ersten 42 Nobelpreisen gingen 17 in den deutschen Sprachraum, acht in den frankophonen und sieben in den angelsächsischen.

Schauen wir nur auf alles, was ich bewegt, gestern wie heute. An Land, im Wasser oder in der Luft. Bahn, Auto, Rad, Bus und LKW, Hubschrauber, Raketen und Magnetschwebebahnen. Fallschirme. Schleudersitze. Katapultstartsysteme. Skier, Matten für Sprungschanzen und Rhönräder. Schraubstollen für Fußballer oder Zehenschuhe. Bei jedem dieser Hauptworte gibt es ungezählte Nebengeschichten und Details. Denn das Fahrrad besteht aus so vielen wichtigen Varianten und Komponenten, die alle erst erdacht, gebaut, getestet und weiterentwickelt werden mußten, bisweilen auch wieder verworfen wurden. Nach dem schlichten Holzrad des Freiherrn von Drais – daher Draisine – kamen die Pedale, die dem Ding den richtigen Schwung gaben. Dann mit dem Schwung die nötige Freilaufnabe von Fichtel und Sachs, dann zur Erhöhung der Geschwindigkeit und Verbesserung des Komforts die verschiedenen Gangschaltungen. Erst einer, dann zwei, dann drei, heute 18 Gänge. Wahlweise in der Nabe, an Kettenblättern oder im Tretlager. Oder kombiniert. Und zum verlangsamen oder anhalten? Scheibenbremsen! Später natürlich angetriebene Räder, heute Pedelec oder E-Bike genannt: Auch sie zwischen Ostsee und Alpen – gerade da! – erfunden und stetig weiterentwickelt. Meistens liegt sowas weiter zurück als man vermutet. Spätestens ab 1900 hat es Räder mit Hilfsantrieb gegeben, mal elektrisch, mal mit Verbrenner. Beispielsweise produzierte DKW in Zschopau von 1919 bis 1921 ein 1-PS-starkes Maschinchen zum Nachrüsten gewöhnlicher Räder, daselbst auf dem Gepäckträger; jahrzehntelang fehlte es für die leichteren und vor allem wartungsärmeren Elektromotoren allerdings noch an starken Batterien. Gleichwohl bequemes Radeln auch so geschehen kann: Man fährt mit Bahn oder Bus den Berg hinauf und hat das muskelgetriebene Leichtradel zusammengeklappt dabei: das kleinste Fahrrad der Welt ist auch eine deutsche Erfindung, trotz seines faden Allerweltsnamens “Handybike”: es wiegt nur 7,7 kg und paßt etwa in eine größere Sporttasche. Oder ins Flugzeug-Handgepäck. Daß Velos ebenso wie Autos stets mit vernünftigem und hellem Licht die Straße vor sich ausleuchten können - besonders dann, wenn es am dringendsten ist, nämlich bei Nässe und auf schlechten Wegen - haben sie Wilfried Schmidt zu verdanken. Der hat nämlich in den Neunziger Jahren brauchbare Nabendynamos entwickelt, wie sie heute in fast allen (Vorder-)Rädern stecken. Vorteil: wartungsarm, schlupfsicher, höher im Wirkungsgrad. Ein erstes Patent für die Idee an sich gab es schon 1913. Und zwar für den Oberbayern Alois Sanladerer und dessen Pläne für den Stromerzeuer in der Achse. Apropos Laden und Strom als auch die schon angesprochenen Batterien. Ihrerseits erneut ein Unterkapitel wert, für die, welche sich ein bißchen für Strom oder Chemie und Physik begeistern können. Ewald Jürgen Georg von Kleist, Jurist und Naturwissenschaftler aus dem preußischen Cammin, stellte  am 11. Oktober 1745 seine „Kleist´sche Flasche“ der Öffentlichkeit vor – und die war der erste künstliche Kondensator der Welt. Daß ein mit Metallfolie verkleidetes Glas viel Energie speichern kann, hatte von Kleist gemerkt, als er nach dem Elektrisieren einen Nagel aus der Alkoholfüllung zog: Er bekam just einen mächtigen Schlag, den später so genannten „Kleist´schen Stoß“. Von seinem heutigen Gebrauch – dem Speichern und Puffern von genügend Energie war dieser Stromsammler noch weit entfernt, ebenso als Quelle zielgerichteter elektrischer Versuche. Man nutzte den heimtückischen „Geist aus der Flasche“ zur Volksbelustigung und ergötzte sich an hilflos zuckenden Gliedmaßen. Heute noch bekannt ist das Gefäß als „Leidener Flasche“, da es ein Jahr später unabhängig von Kleist im holländischen Leiden als neue Erfindung vorgestellt wurde.

 


Um Energie sinnvoll zu speichern, ist das Gerät nicht geeignet. Strom in Flaschen waren also nicht an der Tagesordnung, aber dafür Strom in Säulen – ausgehend von Alessandro Volta, der die nach ihm benannte Voltasche Säule baute. Der italienische Edelmann darf somit als grundlegender Erfinder der Batterie der Neuzeit gelten. Keine zehn Jahre später – 1802 – entwickelte der Schlesier Johann Wilhelm Ritter dessen Türmchen aus Münzen unterschiedlichen Metalls samt Kochsalzlösung oder Schwefelsäure weiter zum ersten Akkumulator, also der ersten wiederaufladbaren Batterie. Techniker sprechen hier von Primär- und Sekundärzellen.

 

Der Akku-Ritter, von Haus aus übrigens Pharmazeut, sollte auch aus weiteren Gründen als Vorglüher der Elektrochemie gelten. Er formulierte Monate vor Volta und auch korrekter als dieser das Spannungsgesetz. Außerdem erforschte er die Elektrolyse von Wasser und entdeckte den Galvanisationsprozeß. Er nutzte dabei die gleichen Versuchsobjekte zum Galvanisieren wie vorher schon bei seiner Erforschung der Voltaschen Säule, als er herausfinden wollte, was es mit dem positiven und dem negativen Pol auf sich hat: seine Finger. Und seine Zunge. Und den Augapfel. „Kind, Batterien darf man nicht anlecken!“ – den Satz sagt heute vielleicht manche Mutter, Mutter Ritter indes wußte noch nichts davon. Prompt fand ihr Sohn heraus, welcher Pol salzig und welcher säuerlich schmeckt, und welcher rote oder blaue Blitze verursacht.


Grundlegende Beiträge zur Elektrochemie lieferte auch Theodor Grotthuß, und zwar ohne an Polen zu lecken. Der Deutsch-Litauer war schon als kleiner Junge an der Uni Leipzig eingeschrieben. Als junger Mann lieferte er um 1806 die Erklärung für die Vorgänge zwischen den Elektroden als wechselseitige Oxidation und Reduktion und legte damit der Elektrolyse den theoretischen Unterbau. Ritter als auch Grotthuß starben jung, dieser mit 33, jener mit 38 Jahren. Letzterer nicht durch an Gliedmaßen angelegte Spannung, sondern an sich selbst angelegte Hand. Der Klever Arzt Josef Sinsteden wurde dafür 88 Jahre alt – und das, obwohl er lange Zeit mit Blei experimentierte. Er gilt als der Erfinder der Bleiakkus, wie sie noch heute in den meisten Autos zu finden sind. Der Mainzer Augen- und Ohrenarzt Carl Gassner wiederum entwickelte eine Trockenbatterie, die man prinzipiell noch heute als Allzweckbatterie kaufen kann. Deren Vorgänger waren samt und sonders zu schwer und kurzlebig, denn sie trockneten rasch aus. Gassner benutzte einen Behälter aus Zink (im Grunde genommen das von Robert Bunsen 1841 erfundene Zink-Kohle-Element) und versiegelte ihn. Das Ganze ließ er sich 1886 in Deutschland, 1887 in den USA patentieren. Berühmt wurde diese Zelle als Energielieferant für Türklingeln. Noch ein wenig kleiner und damit handlicher wollte es Paul Schmidt aus Köthen haben. Seine Flachbatterie bekam ihren Anti-Austrocknungseffekt durch die Zugabe von Mehl zur Elektrolyt-Säure: das soll sich der Erfinder seiner Frau beim Backen abgeschaut haben. Da Schmidt auch ein Glühlämpchen aus eigener Fertigung vorzuweisen hatte, lag – Schwuppdiwupp – die Erfindung der elektrischen Taschenlampe auf oder vielmehr in der Hand. Als Besitzer des Daimon-Werkes erhielt Schmidt eben darauf das Patent. Gebaut haben soll er die Leuchte 1896 – und damit vor dem Engländer David Misell, der dies für das Jahr 1899 für sich in Anspruch nimmt. Paul Schmidt besaß am Ende seines Lebens rund 50 Patente. Eines davon für eine kleine, besonders handliche Taschenlampe namens „Handy“. Huch, klingelt da irgendwas?



Oha! Ein bißchen abgeschwiffen, Pardon. Und das nur beim winzigen Unter-Unterthema Stromspeicher. Dabei wollte ich noch was erzählen über Astronomie und Philosophie und Baukunst, Musik, Haushaltsgeräte, die höchste Kulturdichte weltweit, die meisten und den exotischsten Käse aus Würchwitz, die beste Küche um den Globus mit endlos vielen Rezepten, warum die Welt sich um Sachsen dreht und die heutige Noch-Leitwährung aus Böhmen stammt – Dollar gleich Taler gleich Joachimsthaler. Was das alles mit Pechblende zu tun hat und warum Amerika uns nicht nur Namen und Geld, sondern auch alles andere zu verdanken hat. Wie Jeans, Raumfahrt und Hollywood. Bühnenbau und Tonfilm, Kameratechniken und Beleuchtung, Oberschurken vor der Kamera und Helden dahinter, den Superman und so ziemlich jedes sinnvolle Patent. Und warum die erste Atombombe wohl in Deutschland getestet wurde, und die ersten amerikanischen wie russischen Kernwaffen als auch –antriebe ohne einheimische Tüftler, Techniker und Denker nie zustande gekommen wären. Und nicht ohne deutsches Uran. Selbst das erste amerikanische Auto von 1891, der sogenannte „Nadig Road Wagon“, entstammte dem aus Odernheim ausgewanderten Heinrich Nadig. Den Rest zum Thema Auto dürften Sie kennen: Benz, Daimler, Otto. Wankel und Bosch. Wobei Gottlieb Daimler zugleich das erste Motorrad der Welt schuf. Das alles war so um 1880. Aber noch mal 20 Jahre früher tuckerte bereits ein Mecklenburger namens Siegfried Marcus mit einem selbst zusammengezimmerten Wägelchen mit Ein-Pferdestärken-Benzinmotor durch eine der drei größten deutschsprachigen Städte der Welt: Wien. (Die beiden anderen übrigens: Berlin und New York.) Und im damaligen wie heutigen Auto wiederum stecken ja tausend weitere Erfindungen, von denen 950 zwischen Königsberg, Breslau, Preßburg, Zürich, Straßburg, und, nicht zuletzt, Mitteldeutschland gemacht wurden. Vom mittelalterlichen Krummzapfen im erzgebirgischen Bergbau, Vorläufer der Pleuelstange, über alle Antriebs- und Kraftstoffarten wie Dampf, Strom, Dieselöl und Benzin, zu ABS und LED. Und so weiter, und so weiter.

 

Ich muß es jetzt sehr kurz auf den Punkt bringen. Warum wir so geistreich, tüchtig und schöpferisch sind? Genau deswegen: Weil wir es schnell auf den Punkt bringen können! Die deutsche Sprache ist präzise, exakt, geschmeidig,  ausdrucksstark und beschreibend, elastisch und formschön, allseits unendlich offen und zu allem gut. Deutsch ist die Sprache Deus´, und wenn Gott nicht die Welt erschaffen hätte, ein Deutscher hätte es getan. Dann würde allerdings nicht nur das genaue Schöpfungsdatum feststehen, so wie es uns der anglikanische Bischof James Usher im 17. Jahrhundert übermittelt hat: 23. Oktober im Jahr 4004 vor Christus. Sondern auch die genaue Uhrzeit.

 

gespeist aus "Deutsche Erfindungen, Spitzenleistungen und Superlative - Warum alle bei uns spionieren", 2023, Tobias Mindner.