24. Januar 2025

[Historische Betrachtung] KriegerLust

Es gilt als allgemein bekannt, daß die alten Germanen wilde Krieger waren. Sie wurden vom Weltreich Roms nie bezwungen. Wenn es zu Schlachten kam, stürzten sie sich mit entschlossenem Kampfesmut und unbändigem Eifer auf ihre Feinde. Wogte die Schlacht zurück und eine Niederlage dräute, befeuerten deren ebenso leidenschaftlichen blonden Frauen ihre Kämpfer auf ungewöhnliche Weise: Sie rissen sich die Kleider auf und zeigten ihre entblößten Brüste. Das soll die Krieger zu einer urlebendigen Extase zwischen Blut- und Lustrausch aufgestachelt haben, der niemand widerstehen konnte. 


Man sieht es vor sich: Während fell- und lederbekleidete Männer Keulen schwingen und mit Spießen gegen den Feind anrennen, wogen nackte Brüste – dicke, große, volle – am Rand des Schlachtfelds hin und her, unter Gekreische und Geschrei; dazwischen blitzen straffe und zierliche Brüste lockend auf wie kleine Schutzschilde, Waffe und Siegtrophäe zugleich. Man kann sich vorstellen, wie die Angst um diese schönen Gaben den Mut der Verzweiflung zusammenpumpt, und gleichzeitig eine überlegene Kraft, aus Schönheit und Lust sich speisend, und dem Gefühl der sippenhaften Gemeinschaft, schürt und auflodern läßt …

 

Ob es so kitschig war oder anders: es ist eine schöne Geschichte! Sie lenkt die volle Aufmerksamkeit des bebrillten Historikers auf Zeit und Raum der Schlacht, des Gemetzels, auf das bunte und lärmende Getümmel. Was der nach wie vor bebrillte Historiker nicht betrachtet und sieht, und folglich nicht bedenkt, ist das Danach. Das Danach, das ebenso kampfentscheidend war für die Germanen. Nach dem Blutrausch stürzten sich alle Mannen und Weiber in einen kollektiven Liebesrausch: Fortsetzung des Kampfs mit anderen Mitteln, Ausweitung der heftigsten Lust und Belohnung für den eigenen Willen, sich dem Kampf auf Leben und Tod gestellt zu haben, Dank für den Sieg. Verlängerung der Rauschwirkung in Kopf und Seele, einigendes Band der Sippe. Ebenso, wie alle Männer alle Brüste aller Frauen inmitten des Feldgetümmels gesehen hatten und sich ergötzten, gemeinsam bangten und sich schlugen – ebenso gemeinsam fielen sie nun über ihre Frauen her. Kreuz und quer, jeder mit jedem, ein barbarisches Fest der Sinne und der einigenden Besinnungslosigkeit; eine Schlacht der Liebestollheit nach der Schlacht, andere Schwerter in andere Leiber stoßend. Das fast gleiche Geschrei und Getöse; ohne Waffenlärm, dafür im Einklang mit tausend kehligen Weiberstimmen und gottgegebener Natur.


Ja, sie nahmen nicht die Weiber ihrer geschlagenen Gegner, die Weiber aus dem zu jeder kämpfenden Horde gehörenden Heeres-Troß, zum eigenen Triumph und zur Erniedrigung der Feinde; nein, sie nahmen ihre eigenen Weiber, in neu entfachter Liebe, in Dankbarkeit; in luststeigerndem Durcheinander samt tausend neuen Reizen und umschlingendem Band der Gemeinschaft.  Machte das nicht ihre wahre Stärke aus?



20. Januar 2025

[Satire] 5 Methoden, um garantiert 100 Jahre alt zu werden!

 


Es gibt da bombastische Versprechen. Also Versprechen, wie man 100 Jahre alt wird. Wobei man annehmen darf, daß sich dereinst derjenige, der Ihnen das versprochen hat, bei Nichterfüllung herausreden wird damit, daß er sich nur versprochen hat. Die handelsüblichen und mediengängigen Versprechen dieser Art für 99 Cent lauten etwa wie folgt:

Verzichten Sie völlig auf Kohlenhydrate wie Eis, überfordernden Körperstreß wie Geschlechtsverkehr und englische Kinofilme. Nehmen Sie dafür jeden Tag um 5.30 Uhr direkt nach dem Aufstehen 90 Gramm frisch gequetschte Chia-Samen gemischt mit turkmenischem Hochlandgranatapfelmus im Handstand ein, meditieren Sie zu jedem Voll- und Neumond mindestens 2 Stunden alt-peruanische Mantras von glücklichen Schoschonen und ziehen Sie in ein frisch mit Vulkan-Myrrhe ausgeräuchertes Haus in abgeschiedener Berglage auf wenigstens 2200 Metern Höhe, doch streichen Sie dort zuvor alle Wände mit elektronischer Kümmelkalkmilch auf Faraday´scher Basis gegen kosmische Erdstrahlung und trinken Sie nur noch frischgezapftes, ardesisches Quellwasser aus Zamonien bei 35 Grad. Prosaischer: Verzichten Sie auf alles, was Spaß macht, tun Sie das Unmögliche und drangsalieren Sie sich obendrein pausenlos mit schlechtem Gewissen.

Das sind natürlich alles Heißluftkraftwerke für Eskimos, 3D-Kino für Einäugige und Blinde oder feinstes Rinder-Carpaccio für buddhistische Hindus. Der Normalbürger kann sich das alles nicht leisten, und der Zeit- oder Geldmillionär macht es auch nicht länger als 4 Wochen, weil’s dann fad wird. Und weil ein neues Buch auf der Spiegel-Bestsellerliste steht, wo ungefähr das genaue Gegenteil gepriesen wird, um ans gleiche Ziel zu kommen. (Oder wo drinsteht, daß alt werden sowieso doof ist und die besten jung sterben.) 

> Wöllten Sie denn wirklich so alt werden, 100? Ich finde es wenig erstrebenswert. Nach meiner Erfahrung merkt man das Älterwerden eigentlich nur daran, daß alle um einen herum jünger aussehen. Daß einen ungeheuer gutaussehende Mittdreißigerinnen überhaupt nicht mehr wahrnehmen (es sei denn, sie sind der eigene Hausarzt), anstatt einen so wie früher deutlich erkennbar zu ignorieren. Daß die Leute immer einfältiger und wissensärmer werden, ja, sagen wir es ruhig auf deutsch: vollverblödet. Mehr Waffen für mehr Frieden! Und daß die gesamte Technik, die übermäßig viele Lebensbereiche völlig unnütz überflutet und durchwirkt, dauernd komplizierter wird. Dafür, daß man niemanden mehr richtig versteht, weil alle so wahnsinnig schnell (und lächerliches Zeug dazu) reden, und man dafür im Gegenzug seien Tee dauernd versabbelt, weil die Henkel an der Tasse irgendwie neuerdings so wabbelig sind. Von Wein und Bier hat man sich sowieso längst verabschiedet, weil´s bitter schmeckt, längst nicht mehr so schön dreht wie früher, und weil es nicht zu den roten und gelben Tabletten paßt. Noch schlimmer: Dauernd erfährt man, daß irgendwelche alte Bekannten längst unter der Erde sind, und auch mein armer alter Kater – äh, wie hieß er noch gleich? – hat leider schon die Pfötchen hochgedreht. Ach ja, meine Frau ja auch. Schlimm!

Wollen Sie wirklich 100 werden? Meinetwegen! Heutzutage kann ja jeder wollen, machen und werden, was er will. Zum Beispiel selber Frau. - Das war früher auch noch besser. Da hat man eben Schmied gelernt, weil der Vater es so wollte, oder Wehrwissenschaft studiert, weil der Staat es so angeordnet hat.

So oder so! Ich kann Ihnen jedenfalls 5 wirklich sichere Methoden verraten, wie Sie wirklich 100 Jahre alt werden können! Und die sind viel einfacher zu bewerkstelligen als alle sonstigen. Als alle, von den Sie je gehört haben.

Methode 1

Sie trinken lediglich ein Glas handelsübliches, kühles Mineralwasser täglich. Und das 18 250 Tage lang. Es funktioniert hundertprozentig, dafür garantiere ich. Lediglich Ihr jetziges Alter ist noch eine Variable bei dieser Methode, die allerdings nicht allzuviel Einfluß hat oder sogar begünstigend wirkt. Erstaunlicherweise sind hierbei gerade nicht die Jüngeren im Vorteil, sondern die Alten. Wenn Sie die 60 schon erreicht haben, reicht es völlig, knapp 10 000 Mal ein Glas solches Mineralwasser zu trinken! Aber Maß halten, wirklich jeden Tag nur eines, sonst funktioniert es nicht. (Mehr zu trinken führt auch nicht dazu, daß man damit jünger wird.)   

Methode 2

Noch einfacher! Wir nutzen allein Denkkraft und Phantasie. Die Frage lautet: Was ist 100 an sich, was ist das überhaupt? Wie sieht 100 als solches aus? Sind es 10 mal 10 Quadratmeter Irgendwas, sind es eine hingeschriebene Zahl oder drei aufrecht stehende, von innen beleuchtete Plexiglasziffern in Leuchtorange, 5 Kästen voller Weizenbierflaschen oder die Beine von 25 schwarzen Schafen? Egal, denken Sie sich, was sie wollen und am besten können, und stellen Sie sich das intensiv vor. So intensiv, wie irgend möglich. Nach aller Erfahrung genügen da wenige Denk-Augenblicke die Stunde, und das dreimal am Tag. Spätestens nach einer Woche werden Sie die manifeste Form – Beine, Bier, Ziffern und Fläche - verblassen lassen können und sehen nur noch die reine 100, völlig abstrakt.  Und nur wenige Übungen später werden Sie alles andere völlig ausblenden und übersehen können. Hintergrund, Vordergrund, Nebengeräusche, Gerüche und sonstige Gedanken. So lange Sie jetzt daran denken, sind Sie 100. Nichts weiter! 100. 100. 100. 100. 100.

Methode 3

Noch viel einfacher! Wir teilen gemeinsam die Zeitabläufe kürzer ein. Nehmen wir an, Sie sind jetzt 50. Sie verstehen also mittlerweile, daß alle paar Jahre oder spätestens Jahrzehnte eh alles auf den Kopf gestellt wird; daß jenes, was eben noch die Menschheit rettete vor dem völligen Verderben, entsetzliches Teufelszeuch ist - und umgekehrt heute Gallengift-Geächtetes morgen der Weisheit letzter Gesundheitsschluß! Nicht wahr? Quecksilber wird nicht mehr auf Wunden gesalbt, sondern bereits in homöopathischen Dosen im Vollschutzanzug auf Sondermülldeponien entsorgt; Kohlendioxid ist nicht mehr wichtigste Pflanzennahrung, um den Planet schön grün werden zu lassen, sondern das schlimmste Baum-, Busch- und Blüten-Teufelszeug, welches die Erde zur völligen Verwüstung treibt! Eben noch sorgte Radiumzahncreme für strahlend weiße Zähne, schon sollten Sie sich überlegen, wie oft Sie noch in den Keller gehen wegen erhöhter Radonbelastung da unten. In Ihrer Jugend noch wurde jeder Fremdkörper im Körper eilig daraus entfernt, sei es der Granatsplitter von der letzten Nachbarschaftskeilerei beim Herrn oder eine zu weit nach oben gerutschte Möhre bei der Dame. Heute sind Sie völlig von gestern, wenn Sie nicht wenigstens einen Ring durch den Bauchnabel oder ein Hautstempelbildchen zwischen den Schenkeln haben. Neulich noch Schulabbrecher, dieser Tage bereits Bundesminister. Vor einigen Monaten hieß die Ukraine noch Ostblock, derzeit ist sie unverzichtbarer Bestandteil Westeuropas. Gestern waren Faschisten alle rechts und einer davon Vegetarier, heute sind alle … ach, man verliert einfach den Durchblick, durch diese dauernden Umkehrungen! Eben noch sollte wachsende Industrie für blühende Landschaften sorgen, schon ist es wieder andersrum.

Also, es wird wohl doch höchste Zeit für eine Reformation auch der Zeit! Wie Sie wissen, ist die seit Menschheitsgedenken nicht mehr aktualisiert worden. Wir teilen also einfach die Jahre in zwei Hälften, jeweils sinnvollerweise von der Wintersonnenwende bis zur Sommersonnenwende und umgekehrt. Ist das nicht überfällig? Oder vielleicht noch besser, wir feiern jeweils Jahreswechsel zur Tag- und Nachtgleiche! Seien Sie ehrlich, Sie fühlen sich doch im Sommer eh ganz anders als im Winter. Dieser Unterschied dürfte erheblich größer sein als der zwischen 35 und 40! Da bietet es sich doch nachgerade an, ein Jahr jeweils nach dem April zu beschließen, und dann nach dem Oktober abermals! Obendrein könnten wir auf diese Weise doppelt so oft Silvester feiern, wie schön!, und wären ganz nebenbei bereits 100 Jahre alt. – Leider geil, ja!

Methode 4

Dafür brauchen Sie lediglich einen Freund, der Informatiker ist, die Phantasie für eine neue Vergangenheit, und allenfalls noch Schere, Stift und Papierkleber. Damit sollten sich ein paar wenige Dokumente fälschen oder neu basteln lassen. Noch einfacher: Sie reisen irgendwo ins Ausland, wo Sie ganz schlecht die jeweilige Landessprache beherrschen, und beantragen dort einen neuen Paß, weil Ihr alter verlorengegangen ist. (نصيحة للأجانب غير الناطقين بالألمانية *: In Deutschland soll das gerade sehr gut funktionieren.) Jetzt aufgepaßt!: Wenn Sie nach dem Geburtsjahr gefragt werden, geben Sie irgendwas an, was etliche Jahrzehnte nach Ihrem tatsächliches Geburtstag kommt. Das hängt im Detail von ihrem jetzigen Alter ab: ein ganz klein wenig rechnen ist für diese Methode unerläßlich. Mit den neuen Papieren läuft dann nicht nur wahrscheinlich alles viel besser, sondern sie sind der 100 mindestens erheblichst nähergerückt – falls nicht schon erreicht.

Methode 5:

Die einfachste von allen! Jederzeit und überall anwendbar, sogar im nachhinein. Ohne jede Qual, oder jeden Verzicht, dafür mit maximalem Spaßfaktor: Sie lügen einfach, wenn Sie nach ihrem Alter gefragt werden! Entweder sagen Sie auf die Frage nach dem Geburtsjahr schlicht und sachlich immer 100. Die Antwort ist gut, aber müßte sich bei wiederholten Fragen derselben Person jeweils anpassen: Nach ihrem übernächsten Geburtstag müßten Sie korrekterweise 102 angeben, um nicht der Unwahrheit verdächtigt zu werden. Das ist auf die Dauer kompliziert, noch dazu bei dem Alter! Besser also, Sie prägen sich gleich das Geburtsjahr oder den ungefähren Zeitraum ein, sowas wie 1145 oder 17. Jahrhundert. Im letzteren Fall können Sie darauf verweisen, daß man es damals noch nicht so ganz genau genommen hat mit der Zählung; oder daß Ihre Geburtsurkunde im 30jährigen Krieg verbrannt ist, oder im Kaiserreich eine Verwechslung stattfand, oder überhaupt! (Die grünen Jungspunde sollen gefälligst nicht so viel fragen und erstmal trocken werden hinter den Ohren, ETWAS MEHR RESPEKT BITTE VOR DER WEISHEIT!!) Oder sie nennen eine jüngere Jahreszahl, das mag glaubwürdiger klingen, jedoch nicht nach 1925. Das sollte genügen.

Na, bin ich gut? 5 Methoden, garantiert 100 Jahre alt zu werden, für lau. Oder vielmehr für gar nichts. Völlig gratis, absolut kostenlos. Da vergeht Ihnen hören und sehen, da zieht es sie rückwärts die Maulwurfsrutsche hoch, das haut Sie glatt aus den Latschen, da drehen Sie zweimal im Grab um, und zwar jetzt schon, was? Ich gebe zu: Obwohl meine Empfehlungen voll hochseriöser Wissenschaft und Verbindlichkeit sind, habe ich sie um der besseren geistigen Verdaulichkeit mit drei Prisen Humor gewürzt. Aber maßvoll! Selbstverständlich hätte ich sie auch so formulieren können, daß Sie sich beim Lesen totgelacht hätten! Aber dann wäre es auch noch umsonst gewesen.

 

* dt.: Tip für nicht Deutsch sprechende Ausländer

 

 

 

16. Januar 2025

[Mystische Erzählung] FEUERTAUFE



Ein Scheit wurde in die Feuerschale nachgelegt. Ich nahm noch einen Schluck vom Steinbier. Die Turmglocke des kleinen Kirchleins unterhalb des Gartens läutete. Ich zählte halbbewußt in Gedanken mit und erwartete erst vier höhere, dann noch mal eine Anzahl tiefere Schläge. Nach den vieren ging es aber gleich weiter, ich war irritiert – und fiel dadurch aus dem Gespräch. Ich schnappte das Wort „Verschwörungstheorie“ auf, und sogleich schien die Gesprächsrunde deutlich lebendiger zu werden – zählte einen, zwei Schläge weiter – wunderte mich, und versuchte gleichzeitig, den Gesprächsfaden wieder durch mein Ohr laufen zu lassen. Ich nahm an, jetzt würden wir gleich so oder bei einer gewissen Katastrophe mit zwei Flugzeugen landen, die seltsamerweise mit dem Einsturz von drei Häusern einherging. Und dazu gedachte ich auch etwas Kerniges beizutragen! Beispielsweise, daß unabhängig von jeder Geschwindigkeit immer das weichere, oder vielmehr, das weniger Dichte zuerst kaputt gehen muß. Eindeutig das Flugzeug! Physik 8. Klasse. Genau wie damals bei diesem Unfall in …

Derweil schlug die Kirchturmuhr schon das sechste Mal, dann das siebte, und dann stob mir mit einem heftigen Zischen im Feuerholz ein Funken entgegen und anscheinend nah rechts am Hals vorbei; puh, das hätte auch leicht ins Auge gehen können, stob mir der passende Gedanke dazu nur wenig oberhalb jenes Funkens durchs Haupt! Offenbar war das Holz nicht genug abgelagert. Ich gab mir Mühe, das Zählen nicht zu vernachlässigen, und gleichzeitig die in der milden Nachtluft schwebenden Worte nicht zu verpassen. Aus dem aufgeschnappten Begriff „Esoterik“ entnahm ich, daß es doch in einer anderen Richtung weiterzugehen schien, und ich nahm mir vor, bei der nächsten Gelegenheit mit einem „Aber was ich noch zum Vorigen sagen wollte“ dem Gespräch wieder eine Wendung zu geben und ihm mit meiner hübschen Theorie einen saftigen Drall zu verpassen.

Unterdessen – ich hatte bereits auf zehn Schläge gezählt, immer noch verdutzt – zog ein nicht sehr starkes, aber doch deutlich wahrnehmbares, anschwellendes Hintergrundrauschen meine Auf-merksamkeit auch noch an sich. Eigentlich kein Rauschen, mehr ein, äh, vielleicht leises Grollen, Rumpeln, hm, wie soll man es richtig beschreiben? Ein Dröhnen? Nein, so laut ist es nicht … dröhnen klingt ungeheuer laut! Es war nicht laut – wohl doch mehr ein Rauschen. Aber nicht wie am Meer, natürlich nicht, wie sind ja mitten im Zentrum des Landes! Auch nicht wie vom Wind, nicht so zart, sondern eben doch mit rumpelnden, tockenden Elementen, ungleichmäßiger als Naturgewalten. Schwer zu beschreiben in seinem Klang, aber leicht vermittelt nach der Identifizierung: Die Eisenbahn. Offenbar der letzte Zug, der etwa 2 Kilometer entfernt auf einsamen Gleis am Dorf vorbeifuhr, nicht mal bremsend an dem Bedarfshaltepunkt, dem nun wieder gleichmäßig abnehmendem Geräusch nach, weit außerhalb vom Ortskern …

Die anderen hatten es, vertieft in ihr Gespräch, gar nicht wahrgenommen. Und ich hörte nun endlich nichts mehr vom Kirchturm her, nach elf Schlägen. Da es nur um Elf sein konnte, mußte ich die 4 Schläge zur vollen Stunde völlig verpaßt haben; ich konnte mich auch nicht erinnern, 15 oder 30 Minuten vorher wenigstens den Dreiviertel- oder Halbstundenschlag gehört zu haben. Oder sollte der Kirchturm nur eine einzige Glocke besitzen (immerhin nur ein kleines Dorf), die sowohl Stundenschlag als auch Stundennachschlag zählt? In anderen Teilen Europas ist das wohl allgemein so üblich, in Italien etwa – ich hatte das bei Urlauben beobachtet, aber bei uns halte ich das für unwahrscheinlich. Vielleicht tickte die Uhr auch nur einfach nicht richtig im Oberstübchen.

Ich nahm mir noch vor, darüber eine Bemerkung in die Runde zu machen, zum Nachteil meiner Geheimdiensttheorie in Sachen Hochhauseinsturz, doch mittlerweile ging es um etwas ganz anderes. Und zwar etwas, was meine Aufmerksamkeit mehr noch fesselte. Ich hatte mir dazu noch keine richtige Meinung gebildet, und einer der Anwesenden schien zumindest ureigene Erfahrungen mit dem Thema „Tischerücken“ vorweisen zu können. Das versprach, spannend zu werden. Ich griff wieder zu dem guten Bier, die Flasche und sein Inhalt waren leider durch die Nähe zum Feuer nicht mehr kühl genug, dennoch appetitlich, und hörte hin. Alle konnten etwas beitragen, jeder hatte zumindest davon schon gehört oder kannte jemanden, der seinerseits schon Erfahrungen mit Geistern gemacht hatte oder gemacht haben wollte. Einmal waren tatsächlich Tisch oder auch Gläser wie von selbst gerückt, überraschende Antworten scheinbar aus dem Jenseits (oder sonstwo) gegeben worden, ein andermal kam nur Unsinn dabei heraus oder derjenige, der sich als (vom Geist inspiriertes?) Medium ausgab, erzählte und tat nichts, was nicht auch jeder andere hätte tun können. Die Freundin des Gastgeberpärchens äußerte entschieden, so oder so mache ihr die Sache Angst, und bei allem Interesse dafür würde sie ein solches Experiment keinesfalls bei sich zu Hause durchführen wollen, um einen gewissen Abstand zur Sache zu haben, oder, wie sie sich ausdrückte, „die Geister nicht wieder loswerden“ zu können. Ich brachte vor allem Skepsis in den lebhaften Austausch ein mit dem grundsätzlichen Gedanken, daß eh jeder sieht und hört, was er zuvor schon glaubt, und war ein wenig über das Unfruchtbare des Gehörten enttäuscht. Man muß am Ende eben doch alles selbst ausprobieren, wenn man es genau wissen will, sonst kommt man zu nichts, sagte ich mir mal wieder, und äußerte das in der Art auch so.

Das schien in das nun ohnehin kraft der Holzscheite auflammende Feuer ein Schwapp Öl gewesen zu sein. Mir wurde entschieden widersprochen, immerhin gäbe es sowas wie eine objektive Realität und auch die realen Erfahrungen anderer, auf die man durchaus vertrauen könne und auch müsse – schließlich könne man nun mal nicht alles selbst überprüfen, dazu sei die Welt eben zu groß – und so kamen wir die nächste Viertelstunde wieder in eine schwungvolle, anregende Diskussion, zu der jeder das Seinige lebhaft beitrug. Es ist wohl immer so: Je mehr es um die Dinge geht, die man unmittelbar persönlich erleben, die man leicht überprüfen kann, desto entschlossener und hartnäckiger werden unterschiedliche Meinungen dazu vertreten, wird um den „richtigen“ Standpunkt gewetteifert: Ob man Holz so oder so richtig behandelt oder ob der Staat nun noch sinnvoll und leidlich stabil ist oder ob völlig marode, morsch und überfällig; bei Dingen hingegen, die noch nie auch nur ein Mensch mit eigenen Augen gesehen hat, desto einhelliger der Glaube daran! Daß es irgendwann mal Phönizier mit Tontafeln gegeben hat und der Mensch vom äthiopischen Affen abstammt und daß es unsichtbare Strahlung, Millionen Jahre alt, aus dem Weltraum gibt …

„Leute, jetzt erzähle ich Euch mal eine Geschichte!“,

hörte ich plötzlich jemanden sagen, mitten in meine Denkturbulenzen hinein, und erkannte darin mich selbst. Der Flammenschein warf rötliches Licht auf drei Gesichter, die mich anschauten.

„Eine Geschichte, die wirklich unklar ist, seltsam, aber von der ich aus erster Hand weiß. Oder sagen wir, ich hab einiges davon überprüft, es stimmt!“

Was ich vorzutragen gedachte, weil es mir eben eingefallen war von sonst wo, handelte von einem Händler in … nun, lassen wir besser mal die Namen weg – die Welt und die Branche ist ein Dorf, und man kann allzu leicht Rückschlüsse ziehen auf die wahren Personen, und ich will weder Ärger kriegen noch jemandem Unmut machen – also einem Händler in einer größeren Thüringer Stadt, der schon zu Ostzeiten ein privates Geschäft betrieb, im technischen Bereich. Stand wohl damals sehr gut da, weil er mit seinen Produkten eine Nische ausfüllte, und weil noch so viel selbst repariert wurde. Aber auch nach der Wende konnte er sich mit seinem Fachgeschäft gut über Wasser halten, mangels Konkurrenz. Allenfalls hätte man die Teile, die er vorhielt und anbot, über Kataloge oder später das Internet bestellen können, oder in einer Handvoll großer Läden, aufgeteilt in zwei, drei großen Städten, direkt kaufen können.

„Also jedenfalls eine ziemlich unglaubliche Geschichte“, sagte ich noch vorab, „und ich kann mir keinen Reim drauf machen. Ich würde sie auch nicht glauben, wenn ich, wie gesagt, nicht selbst wüßte, daß sich das so abgespielt hat – jedenfalls das, was ich selbst sehen kann. Ob nun Geister oder nicht“

setzte ich noch hinzu, grammatikalisch fragwürdig, um den Anschluß zum Thema zu verdeutlichen. Die Gesichter wurden noch fragender.

„Vor drei oder vier Jahren kam ein Mann in das Geschäft und wollte etwas zurückgeben oder reklamieren, was er zuvor gekauft hatte. Es funktionierte wohl nicht korrekt. Der Verkäufer … doch halt, ich muß noch vorausschicken, also, das Geschäft lief sehr gut, wie gesagt, auch weil der Ladeninhaber eben eine treue Stammkundschaft hatte, und weil er sich bestens auskannte in seinem Metier, gute Tips und Ratschläge geben konnte … vielleicht nicht der Typ überschwenglich-freundlicher Vertreter, der einem Komplimente macht und beschwatzt und  für alles und jedes eine Lösung zu haben vorgibt, aber eben doch wirklich kompetent und ernsthaft, ehrlich, na ja, sagen wir, grundsolide. Integer.“

Ich unterbrach mich, weil mir eben der Gedanke kam, daß die anwesenden Zuhörer den Mann, das Geschäft, ja womöglich kennen konnten, und ich erfragte das. Aber nein, mein Freund, der Gastgeber,  war ja vor wenigen Jahren erst zugezogen, und die Damen sowieso auf diesem eher technischen Feld nicht unterwegs.

„Es war eben auch der gute Service, den er – oder sie – boten: Er hatte einen Mitarbeiter, oder sogar zwei. War ja nicht ganz klein, das Geschäft. Gut. Also da wollte ein Kunde was zurückgeben, was er vorher gekauft hatte. Der Händler weigerte sich aber ausnahmsweise, weil er sicher annahm, daß das beanstandete Teil beim Käufer selbst durch Unachtsamkeit kaputtgegangen war. Er kannte sich wirklich gut aus, man konnte ihm nicht so leicht Geschichten erzählen. Der Kunde beharrte aber auf seinem Rückgaberecht, einerseits wegen des Defekts, andererseits wegen angeblich allgemeiner Umtauschmöglichkeit – ich weiß gar nicht, ob das bei solchen Dingen eigentlich auch gilt, und in kleinen Geschäften …“

„Doch, zwei Wochen kannst Du alles zurückgeben, auch ohne Begründung!“

 

sagte die rechts neben mir sitzende Gastgeberin, und ich wollte dagegen etwas einwenden, und auch meine Partnerin, die vierte der Runde, schickte sich an zu einem Widerspruch; doch mit einem weisen Hinweis meines Freundes kamen wir diesmal nicht auf einen gesprächlichen Nebenpfad der Geschichte, sondern ich setzte direkt fort.

„Na, jedenfalls, der Verkäufer hatte ihm dann wohl noch, mehr aus Kulanz, angeboten, das Geld zu verrechnen oder eine Gutschrift auszustellen: Aber der Kunde wollte unbedingt sein Geld zurück und sonst nichts! Daß das so war, weiß ich sicher, daß habe ich später selbst gehört. Ich stand nämlich in dem Geschäft, als der Verkäufer das jemandem erzählte. Übrigens gar nicht etwa aufgebracht oder wütend oder eben sehr einseitig aus seiner Sicht, sondern durchaus abwägend, vielleicht etwas verklärt oder betrachtend … jedenfalls eher kühl. Wie gesagt, es war auch wirklich nicht etwa Hitzkopf, sondern eher so ein technischer Typ, vielleicht ein bissel in Richtung bürokratisch, rational … jedenfalls unaufgeregt und korrekt.

 

Er muß wohl in dem Gespräch – also in dem Disput mit dem Kunden, der wenige Tage vorher das Teil reklamierte – auch mal von gerichtlicher Klärung gesprochen haben oder von der Möglichkeit, der Kunde könne sich ja an einen Anwalt wenden oder sowas, dann würde sich das eben so klären. Da hätte dieser Typ, eben noch ziemlich aufgebracht, nur komisch gelacht, ich glaube, er hat sogar das Wort „zwielichtig“ oder, nein, halt, „undurch-sichtig“ war das Wort, genau!, undurchsichtig, gebracht, und gesagt: `Ja, ja, das wird ein höheres Gericht entscheiden, mein Freund! Wenn ich jetzt das Geld nicht zurückbekomme, dann werden Sie hier kein einziges Geschäft mehr machen. Dann kommt hier kein Kunde mehr rein!´ Dafür wolle er sorgen.

Der Händler wußte das nicht zu deuten, sagte nur etwas Unbedachtes darauf, sah sich auch weiter im Recht, und der Kunde verließ den Laden in einer Absatzwendung, sozusagen. Einerseits erleichtert, daß es nicht in Schlimmeres ausgeartet war, andererseits unbehaglich über die kuriose Drohung, wandte er sich dem nächsten Kunden zu – der indes nur etwas bestellen wollte.“

Ich stand von der dicken Holzrolle auf, auf der ich saß, und machte zwei Schritt zu dem improvisierten Tischlein, neben dem die Flaschen standen. Griff nach einem neuen Bier, möglichst kühlem diesmal, fand ein Radler. Während ich es öffnete, platzte mein Freund in die Stille:

„Na, und?“,

während mich alle anschauten, befremdet und neugierig.

Ich setzte mich wieder hin und wußte nicht, ob sie mich richtig verstanden hatten; ob das Interesse meiner Gegenüber der Geschichte galt oder meinem Erzählstil und gar einem bassen Unverständnis entsprang. Von vorn wärmte das Feuer und die üppige Glut ganz enorm. Von hinten schlich sich kühle Nachtluft entschieden an den Rücken. Ob ich mich mal umdrehen sollte, dachte ich?

„Na ja. Das war vor vier Jahren. Oder, mindestens drei. Den Händler gibt es nicht mehr. Er hat wirklich seinen Laden geschlossen, kurz danach. 4 oder 5 Wochen nach dieser Sache – also, der Typ kam nich wieder, ja! – hat er seinen Angestellten entlassen und wollte es noch allein weiter versuchen. Personalkosten sind ja auch nicht unbedeutend, im Gegenteil, und immer gleichhoch, Sozialkram und so weiter … Aber es kam eben keiner mehr. Wirklich keiner! Jedenfalls keiner, der was gekauft hätte. Mal ein Stammkunde, bissel plaudern, mal jemand mit einer technischen Frage, mal irgend ein Tourist – das Geschäft lag ja dort vorn am XXX, ziemlich zentral – ein Tourist, der nach dem Weg oder dem Bahnhof … aber es kaufte eben wirklich niemand mehr was! Also, allenfalls so allerkleinsten Kleinkram, für ein paar Cent vielleicht. Exakt seit diesem Tag, als der Typ dagewesen war.


Meine Freundin schaute in die Glut, schweigend, sinnierend. Die beiden anderen starrten mich an. Sie mit großen Augen. Er skeptisch. Ungläubig sagte er:


„Das kann ich mir nicht vorstellen! Er muß doch irgendein Geschäft gemacht haben. Irgendwas kauft doch immer mal jemand! Oder … oder es war eben Zufall. Kann schon sein, daß mal ein paar Tage nichts passiert, das ist normal, in allen Branchen. Ich kenne das von uns auch, manchmal hat man Wochen gar nichts, und dann …“

 

„Ja. Aber der Mann hat vorher über 30 Jahre, in ganz wechselnden Zeiten, immer von seinem Geschäft gelebt. Natürlich gibt es Flauten. Er hatte sogar einen Systemwechsel, quasi um 180 Grad, erlebt. Alles war neu nach der Wende! Aber daß er überhaupt nichts, also ÜBERHAUPT nichts mehr verkauft hat, seit genau diesem Tag …“

 

„Na, das sagt man doch so. Woher weißt Du das denn genau? Vielleicht hat er auch nur keine Lust mehr gehabt und redet sich jetzt selber sowas ein, um bequemer in Rente …“

 

„Nein, nein, daß weiß ich sicher! Er hatte, also … ich weiß, daß er noch wenigstens eine Handvoll Jahre das Geschäft betreiben wollte. Es lief ja auch sehr gut. Er war genau der richtige Typ dafür, das war sozusagen seine Berufung. Der hat dann auch noch versucht, das Geschäft von zu Hause aus weiter zu betreiben, als Versandhandel, nur online, um Kosten zu sparen, die Miete und so. Aber das ging auch nur noch ein halbes Jahr – in dem er quasi von der Hoffnung gelebt hat. Es muß überhaupt nicht funktioniert haben! Er hat dann völlig das Handtuch geworfen, weil selbst die letzten Reserven aufgebraucht waren und einfach nichts Neues mehr kam. Das hat er mir selbst mal erzählt! Ich hatte ihn nämlich, das ist jetzt etwa ein halbes Jahr her, mal in der Stadt getroffen und angesprochen.“

 

„Ich weiß nicht. Willst Du uns etwa erzählen, daß sowas wie ein böser Fluch über der Sache liegt, daß der Kunde Voodoo betrieben hat oder sowas?“, lachte mein Freund überlegen. „Es wird ja heute auch nichts mehr repariert. Alles weggeworfen. Alles immer neu gekauft. Chinakram. Ist doch in anderen Branchen auch so, wie gesagt, bei uns …“

 

„Nein, nein“,


fiel ich wieder ins Wort,


„das völlig Verrückte ist, der Mitarbeiter, der, den er damals entlassen hat, hat kurz danach ein eigenes Geschäft aufgemacht, genau das gleiche, also genau die gleiche Branche, vom Angebot her, der kannte sich ja auch aus, die hatten beide jahrelang oder jahrzehntelang zusammengearbeitet … hat zwar sein Angebot ein bißchen kleiner gehalten, weniger Lagerkosten, etwas weniger Miete, auch keine Mitarbeiter weiter, aber sonst also das gleiche: Und der Laden läuft! Trägt sich völlig! Ich bin selbst schon ein paarmal dort gewesen, ist meist was los. Und habe mir das auch schon bestätigen lassen von dem Herrn. Der ist ja noch da …“

 

„Wie: da?“

 

„Na, er hat sein Geschäft noch. Das gibt es noch.“ 

Jetzt wurde eine Weile geschwiegen.

„Mir ist kalt“,

sagte meine Freundin, stand auf und ging ohne weitere Erklärung ins Haus. Die Partnerin meines Freundes starrte mich mit großen Augen an, sagte dann:

„Mir ist auch kalt! Und wenn ich so etwas höre, wird mir noch kälter!“

 

Siebeneinhalb Jahre später 

 



Ich sitze vor meinem Rechner und lese die Aufzeichnungen. Vor kurzem erst habe ich die Freunde nach langer Zeit mal wieder getroffen, mit denen dieses Gespräch seinerzeit stattgefunden hatte. Es war ein anderer Ort, es war eine andere Zeit: Doch es war wieder eine dörfliche Atmosphäre, wir standen wieder um eine Feuerschale hinterm Haus im Garten – diesmal in der Silvesternacht. Es war kalt, es lag etwas Schnee, die letzten Böller krachten noch entfernt, vereinzelt blitzte eine Rakete am Himmel auf oder man hörte ein Pfeifen in der Nachbarschaft. Die beiden Freunde, jenes Paar, welches ich mit meiner neuen Lebenspartnerin besuchte in der Silvesternacht, hat seither vieles erlebt, neue Horizonte kennengelernt, ist etliche Male umgezogen. Sie erinnerten sich beide leider nicht mehr an die Geschichte von damals, haben andere Eindrücke parat. Und meine Freundin von damals war diesmal nicht dabei – denn es gibt sie nicht mehr in meinem Leben. Sie ist einfach weg. Zwar wohnt sie noch an der gleichen Stelle wie damals, nur wenige Fahrminuten von mir entfernt: doch kein weltlicher Weg führt noch zu ihr, weder durch Raum noch Zeit. Sie kann ich also auch nicht mehr fragen, ob es so stattgefunden hat oder anders; ich bin der einzige, der sich daran erinnert.

Und deshalb bin ich mir selbst nicht mehr ganz sicher, ob es so war oder nicht. Oft fallen mir einzelne Formulierungen genau ein, leuchten einige Szenen und einige Sätze glasklar vor meinem inneren Auge auf, also ob gerade jemand ein paar lose Zeitungen in die Feuerschale gelegt hätte, die sofort auflodern und alles erhellen; anderes dagegen verliert sich in der Dunkelheit wie die Schemen der Bäume und Büsche, die einige Meter abseits stehen, heute wie damals, oder verliert sich wie die kräuselnden Rauchschwaden, allmählich blasser werdend, über dem Feuer im Nachthimmel.

Ich versuche mich zu erinnern, wie wir damals das Gespräch beendet hatten? Waren die beiden Frauen einfach im Haus verschwunden, und B. und ich hatten einfach weiter spekuliert und diskutiert, während sich die Argumente allmählich in der zunehmenden Bierseligkeit verdünnten? Kamen wir auf ein anderes Thema? Hatte uns die Änderung der Gesprächssituation, nämlich der Ortswechsel unserer beiden Freundinnen, vom Thema ganz abge-bracht?

Mittlerweile, in der Jetzt-Zeit, sind für uns andere Dinge aktuell. Der Niedergang und Verfall des Landes, die Endzeitstimmung, irgendwelche Ansichten über politische Akteure und deren Hintermänner, die eine oder andere Gesellschaftstheoerie, viel angelesenes Wissen und alternative Sichtweisen. Doch wieder Verschwörungstheorien, nur andere? Sind es überhaupt Verschwö-rungstheorien, oder nicht etwa Verschwörungspraktiken? Man kann wuderbar spekulieren, man kann sich vieles einreden oder glauben, man kann für alles Indizien finden. Oder auch dagegen. Ich gebe allerdings zu, daß mittlerweile die zugespitzte Scherzfrage „Was ist der Unterschied zwischen einer Verschwörungstheorie und der Wirklichkeit?“ tatsächlich mit „Ungefähr ein Jahr!“ beantwortet werden kann, jedenfalls bei einigem: das ist offensichtlich. Ich denke bloß an die düstere „Corona“-Zeit. Aber die Frage, ob es nun wirksamen Voodoo-Zauber oder Ähnliches tatsächlich gibt, bleibt für mich unbeantwortet. Wahrscheinlich ist es wirklich eine Glaubensfrage. Ich glaube normalerweise nur noch an das fest, was ich wirklich mit eigenen Augen gesehen und mit eigenen Ohren gehört habe. (Obwohl, selbst da bin ich mittlerweile vorsichtig geworden, denn die Erinnerung kann furchtbar trügen.) Aber immerhin, das mit diesem seltsamen Mann in dem Geschäft und die Folgen daraus hatte ich ja doch selbst erlebt! Etwa nicht?

Hatte ich es wirklich? Oder hatte ich es mir nur eingebildet und das gehört, was ich hören wollte, was in mein damaliges Weltbild gerade paßte? Hatte mich der Händler vielleicht doch mit einer Geschichte, die einfach spannender klang als die schnöde Wirklichkeit, ein bißchen verschaukelt? Oder vielmehr: Sich selbst wichtig gemacht?  Oder schlichtes kaufmännisches Unvermögen, meinetwegen auch schwierigere Zeiten und Umstände, für sich selbst geheimnisvoll kolorieren wollen – mit einer guten Portion Übersinnlichem? Hm. Möglich.

 

5 Tage später


Mir ist schwindlig! Die letzten Tage, vielmehr Nächte, habe ich an zwei Bildcollagen und einer Kurzgeschichte gearbeitet; alle drei Werke sind ungewöhnlich düster ausgefallen, hier und da kafkaesk. Gerade will ich, gelangweilt, angeödet und trister Laune, noch an einem der Bilder etwas abrundend arbeiten, kann mich aber nicht wirklich aufraffen. Ich bin völlig uninspiriert. Also suche ich in irgendwelchen alten Aufzeichnungen herum, stöbere in einigen Tagebüchern von vor Jahren. Ablenkung oder Suche nach sinnvoller Arbeit? Keine Ahnung. Da plötzlich öffne ich eine Datei auf meinem Rechner mit dem mir nichts sagenden Namen „Fragment bZ.doc“. Eigentlich wollte ich sie gerade schon, überdrüssig des ganzen alten Krempels, einfach löschen, doch dann habe ich sie doch noch einmal kurz geöffnet: Man weiß ja nie. Fast trifft mich der Schlag! Was steht da in Stichworten auf wenigen Zeilen?

„kleine runde bei freunden, zu viert geschichten erzählen … dann bastelgeschäft und düstere esoterische kundendrohung erzählen, wie bei E. … keinerlei käufe mehr! … kann das wahr sein?“

Ich schaue nach. Völlig fassungslos. Die Datei stammt offenbar vom  September 2020 … ah, Gott sei Dank! Das war immerhin ungefähr 2 Jahre nach diesem Treffen an der besagten Freundestreffen mit der Feuerschale. Dann hatte ich das wohl irgendwie vergessen, verdrängt, hatte mir nur das Stichwort „Fragmente“ eben gemerkt, wollte es noch einmal aufgreifen. Neu erzählen. Oder so.

Ich schaue noch einmal genauer hin. Prüfe das Datum, weil ich mich überhaupt nicht erinnern kann, das einerseits völlig vergessen zu haben – und andererseits dann doch wieder irgendwie neu angelegt hatte. Ominös! Die realen Vorgänge aus der Geschichte hatte ich ja wenige Jahre zuvor tatsächlich erlebt. Aaaahhh! Da! Alle anderen Dateien im gleichen Ordner zeigen das gleiche Datum. Verdammich! Das ist nur das Datum der Übernahme von einer alten Festplatte auf den neuen Rechner. Oder das Datum, an dem ich die Datei dann auf dem neuen Rechner noch einmal geöffnet hatte.

Ich muß nachsehen, ganz genau nachsehen … irgendwo muß es doch in den Metadaten stehen, wann ich das zum wirklich ersten Mal aufgeschrieben habe? Einigermaßen desparat suche ich mir die alten Festplatten heraus, krame in der Kiste. Finde die älteste: sie ist allermindestens 10 Jahre nicht mehr genutzt worden, und die ältesten Daten darauf gehen eher auf 20 Jahre zurück. Oder mehr. Schließe sie an …

Nichts passiert.

 

Zwei Stunden später

 

Endlich! Ich habe sie doch zum Laufen gebracht! Ein zusätzliches Netzteil war nötig. Eilig krame ich in den alten Ordnern, die mir nur noch zum Teil vertraut sind. In vielen Fällen hatte ich völlig umsortiert, andere Namen verpaßt, und vieles ist wirklich uralter Schrutz, der längst hätte gelöscht werden können, und sollen. Prompt ist alles viel zu viel, um halbwegs schnell etwas zielgerichtet zu finden. Ich muße mich durch Dutzende Ordner und Unterordner quälen, finde so viel Mist, aber auch manches Spannende und Interessante. – Meine Güte, was habe ich schon alles aufgeschrieben, was alles bildlich gebastelt, wie viele Einfälle in garer oder ungarer Form niedergeschrieben, und was für eine Fülle alter, unsortierter und völlig vergessener Fotos. Unfaßbar. Aber das Gesuchte findet sich nicht. Besser so?

Dann fällt mir die SUCHFUNKTION ein. Ja, ich kann doch einfach nach Namen suchen. Also …

Nein, eine Datei des Namens „Fragmente“ gibt es nicht, auch nicht „Fragmente bZ“. Fast bin ich erleichtert. Moment! Ich kann ja auch nach ganzen Wortgruppen suchen, mittlerweile jedenfalls, und jedenfalls dann, wenn die Suchfunktion entsprechend eingestellt ist. Also, probieren. Geht das denn auch mit externen Festplatten?

 

47 Minuten später

 

Tatsächlich, es geht. Oder vielmehr, ich habe einen einfachen Trick genutzt. Der ist so einfach, daß man sich einen Dummkopf schelten muß, wenn man offenbar mehr als eine gute halbe Stunde braucht, um den Einfall zu haben: Einfach alles, was in Frage kommt, noch mal kopieren auf den aktuellen Rechner, logisch, und dort geht das ja so. Also. – Und dann, tatsächlich: Ich finde mithilfe der Wortgruppe „bastelgeschäft und düstere esoterische kundendrohung“ die Datei wieder! Unglaublich. Sie heißt zwar im Original „Merolan“, aber ist sonst identisch. Warum habe ich den Namen geändert? Was soll überhaupt der kuriose Kunstname – was, um Himmels Willen, habe ich mir dabei gedacht?!

Egal, das Datum ist wichtig, das habe ich gesucht. > Rechter Mausklick, das Aufklappmenü: > Eigenschaften, > Vorgängerversionen? Nein! Also unter > Details schauen. Da steht es, unter > Ursprung und Inhalt erstellt: „30.12.2001, 00.32 Uhr“. Unfaßbar! Nicht zuglauben! Über 20 Jahre ist das her! Und dann auch noch fast an Silvester, wiederum! Dabei hatte ich das Erlebnis mit dem Mann und dem Verkäufer erst ungefähr 2014 oder 2015 gehabt, meinetwegen auch noch ein oder zwei Jahre früher. Das zumindest weiß ich ganz genau, denn an die Begebenheit an sich erinnere ich mich wenigstens gut – ob die mir später erzählte Geschichte von dem Verkäufer nun stimmte oder nicht. Und früher kann es nicht gewesen sein, weil ich erst 2009 in diese Stadt gezogen war und den Laden dort vorher noch gar nicht kannte …

Mir ist ernsthaft schwindlig. Ich muß nachdenken. Einige Sachen prüfen. Was ist da los? Was könnte „wie bei E“ bedeutet haben? Warum habe ich mir diese Aufzeichnungen gemacht, was habe ich mir dabei nur gedacht? Was soll das „bZ“ in dem ersten Dateinamen bedeuten? Konnte ich etwa irgend etwas voraussehen, oder ist das alles nur ein unglaublicher Zufall? Eine irre Koninzidenz? Wie ist das alles überhaupt möglich? Spinne ich, drehe ich jetzt langsam durch?

 

Jetzt

 

Ich muß mich hinsetzen, das alles noch mal in Ruhe durchdenken. Klaren Kopf behalten. Nicht verwirren lassen, nicht in Panik geraten. Am besten alles nach und nach noch mal geordnet aufschreiben! Ich beginne am besten sofort damit, während sich mir der Kopf dreht:

 

„Ein Scheit wurde in die Feuerschale nachgelegt …“

 



 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

11. Januar 2025

[Geschichte] Die Traum-Waschmaschine

 

Wie ich ein Drehbuch in Echtzeit schrieb, dabei hochkonzentriert dessen Hauptrolle spielte und mich gleichzeitig perfekt als Publikum langweilte

Schuld war die frisch gewaschene Bettwäsche. Sie hing direkt neben der Chaiselongue.  Ich träumte von einer Waschmaschine, die ich selbst war. Und zwar der unwahrscheinlichsten Waschmaschine, die es je gegeben hat (obwohl es sie in Wirklichkeit nie gab): Denn sie stellte eine zukünftige Waschmaschine dar, wie man sie sich in der Vergangenheit ausgedacht hätte. Etwa so Mitte der Achtziger Jahre im 20. Jahrhundert.

Wir reden also von etwas wie Retro-Science-Fiction, oder auch sehr verspätetem „Dampf-Punk“. (Was mir übrigens für eine Waschmaschine gar kein so schlechter Rahmen zu sein scheint, schon allein wörtlich.) Zu der Zeit, da ich diese unglaubliche Geschichte schreibe – nachdem ich sie gerade in meinem luziden Traum erschaffen habe – wissen wir natürlich, daß sich die Waschmaschinen keineswegs so rasant und vor allem nicht so spektakulär entwickelt haben, wie man damals sicherlich dachte, daß sie es tun würden. Es sind immer noch einfach nur große, weiße Kästen, an deren Innenleben sich seit 100 Jahren so gut wie nichts geändert hat, nur daß mittlerweile der Deckel und einige weitere Teile aus Kunststoff statt lackiertem Blech sind. 

Und es gibt mehr Mäusekino, vor allem digitales. Also ein paar rote oder blaue LEDs, dazu einen großen, elektronischen Drehgriff und vielleicht bei teureren Modellen noch eine Flüssigkristallanzeige und WLAN. 

Kinkerlitzchen, wenn Sie mich fragen, absoluter Humbug! Früher war anstelle dessen einfach ein mechanischer Drehschalter mit integrierter Programmablaufuhr, der die Wäsche genauso gut – und vor allem viel nachvollziehbarer – durchspülen ließ. Und es gab einen Temperaturdrehgriff, mit dem man jeden beliebigen Wärmegrad einstellen konnte. Einfach, logisch, vernünftig und praktisch. Heute steht auf dem Wahlschalter nacheinander sowas wie > Start ° Buntwäsche ° Soft ° Hosen ° Hemden ° Kurz ° 40 Grad ° Sportsachen ° Leise ° Selfcleaning ° Knitterfrei ° Schranktrocken“.

Mir stehen da alle Haare gekräuselt zu Berge, und ich ahne, warum sich Menschen auf Straßen festkleben! Das ist für mich so, also ob ich jemandem das Spiel „Monopoly“ wie folgt erkläre: „Das ist so mit Geld und Gefängnis und Spielanleitung, für etwa 3 – 5 Menschen oder Frauen, auch mit Figuren, besteht aus einem bunten Pappkarton, und man spielt damit am Abend, meistens am Tisch.“ (Ich füge das hier nur bei, damit Sie etwas vorsichtiger werden, wenn Sie mich nachher, am Ende der Geschichte, vielleicht für ein bißchen verrückt halten. Ich bin nicht verrückt, ich habe solche irren Waschmaschinen nicht erfunden. Verrückt sind die anderen!)

Na, wie auch immer. Erinnern Sie sich bitte kurz an die Achtziger Jahre. Damals dachte man, daß in der Zukunft so ziemlich alles von Robotern gemacht werden würde. (Außer Sex, natürlich.) Und diese vorgestellten Roboter sahen vorzugsweise mehr oder weniger menschlich aus. Sie hatten Rumpf, Arme und Hände, Beine, Kopf mit Augen und Mund. Und nach diesem Strickmuster war jene Waschmaschine gehäkelt, von der ich rede (wenn ich mal ein schiefes sprachliches Bild hinhängen darf, auf dem das Kind mit dem Badewasser in den Brunnen geschüttet wird): Sie ist ein dicker, weißer Kasten, der klobige, grafisch angedeutete Beine zum scheinbaren Laufen hat – obwohl er sich in Wirklichkeit nur auf seinen integrierten Rollen bewegt, immerhin in beliebige Richtungen. Obenauf einen Kopf mit angedeutetem Mund, aus dem allerlei Geräusche dringen können. Rechts und links am Rumpf angebrachte Arme, die sich vielleicht in einer Richtung schwenken lassen, wie bei einer simplen Puppe; wozu auch immer. Von Lämpchen oder LEDs keine Spur, allenfalls gibt es irgendwo eine analoge Temperaturanzeige mittig auf der Brust, vielleicht die Andeutung einer Antenne auf dem Kopf. - Ja, Antenne ist gut! Damals ging der gedachte Fortschritt immer nach oben, zum Himmel, am besten Richtung Weltraum. Also denken wir uns eine kleine ovale Satelittenschüssel dazu auf dem Kopf des Geräts ...

Und nun kommt der Knüller! Gehen Sie mit mir bitte in der Vorstellungswelt aus dieser Zeit hinaus in eine Zukunft etwa 30 oder 40 Jahre später, die aber nicht die heutige Zeit ist – sondern die Fortsetzung jener Gedankenwelt. Unsere visionäre Roboter-Waschmaschine aus den Achtzigern ist mittlerweile entsprechen alt und verschlissen, hier platzt etwas Farbe ab, dort gibts einige Rostflecken, da einige Beulen. An einem der Drehknäufe ist etwas Plastik abgebrochen, an der Ecke, links vorn. Sehen Sie es? Hallo, nicht da, ich sagte links, liihiiinks - das andere liiinks!

Sie sehen es trotzdem nicht? Macht nichts. Spielt so gut wie keine Rolle. Wir wechseln jetzt ohnehin die Ebene. Stellen Sie sich bitte vor, Sie seien diese Waschmaschine! Jawohl. Anstelle des bekannten Körpers um sich aus Fleisch und Blut sind Sie jetzt dieses klobige Etwas, das „Waschmaschine 2025“ heißt, oder so ähnlich. Das heißt, genaugenommen, „zukünftige Waschmaschine aus der Vergangenheit“. [Ja, hallo, das ist ein bißchen schwierig, aber dafür handelt es sich ja auch um einer der außergewöhnlichsten Geschichten überhaupt, die Sie je hören!!!]

Die angedeutete Verbeulung etwa können Sie sich so vorstellen, daß Sie Ihren Kopf etwas seitlich einziehen und gebückt stehen, Blick mit einem halbgeschlossenen Auge nach unten. Ich denke da an Karl Dall. Und statt zu reden, murmeln oder gurgeln Sie bloß vor sich hin, und zwar rythmisch, und immer mit Pausen von etwa 10 Sekunden dazwischen. Die gewöhnlichen Waschmaschinen drehen doch auch immer einige Sekunden vor, dann stehen sie still, dann drehen sie einige Sekunden rückwärts. Nicht wahr? (Wenn Sie sich das wirklich nicht vorstellen können, wie ein Waschmaschinenroboter murmelt oder gurgelt, denken Sie halt einfach, als Hilfskonstrukt, an das Gewäsch einer gewissen deutschen Außenministerin*In.)

Die Waschmaschine, die Sie jetzt sind, kann sich auch frei im Raum bewegen, also hin- und herlaufen auf dem Boden, genaugenommen also rollen. Das könnten Sie jetzt gut mit trippeln andeuten, und dabei gern ein bißchen schwanken.

Wichtig ist, daß Sie deutlich zeigen, daß die Waschmaschine wegen ihres Alters deutliche mechanische wie elektrische Defekte hat; sagen wir, ein paar dicke Schrauben locker sitzen hat: sie knarzt und rumpelt, macht schleifende Geräusche beim bewegen, spuckt und spotzt hin und wieder, und blubbert dabei gleichmäßig vor sich hin.

So! Und zu der Kulisse gehören jetzt noch andere Personen. Nämlich vor allem die beliebige Hausfrau, die eigentlich gerade mit dieser Waschmaschine waschen will, aber wegen der Defekte und Eigenmächtigkeiten der seltsamen Maschine nicht mehr richtig klar- und hinterherkommt. Denn unsere drollige Waschmaschine bewegt sich ja auch unentwegt fort, mitten durch die Stadt. Übrigens ziemlich ziellos. Momentan steht sie gerade auf dem Parkplatz eines größeren Lebensmittelgeschäfts. Immerhin, es ist klarer Himmel und blitzender Sonnenschein. Wie schön ... Im nächsten Moment wechselt die ganze Kulisse, und Hausfrau samt Maschine sind wieder im Bad oder Wäschekeller ihres Hauses, wobei die Person sich eher wundert über das komische Gerät; und Sie – als das Gerät! – ganz still in der Ecke stehen, vereinzelt muckernd.

Wann endlich kommt noch einmal der Monteur, der das Ding begutachtet und zur Räson bringen soll? Der sich auskennt und an den richtigen Knöpfen dreht? Erinnern Sie sich, wie schön das war, als sich noch jemand mit Ihnen beschäftigt hat? Als der Rohrexperte so überaus fachmännisch mal hier drehte, dort klopfte und da etwas zog? Als er die Hand prüfend auflegte, als er den Fühler eines Meßgerätes anlegte und zwei Klemmen anheftete, um Sie prüfend herumging, sie dann links ein bißchen anhob und darunterschaute mit nachdenklichem, aber Selbstvertrauen aussendendem Blick? Als er Sie bespielte, als Sie ganz im Mittelpunkt standen, nicht viel tun mußten und trotzdem alle Aufmerksamkeit auf sich zogen? Als jedes rauschende Brummeln, welches Sie von sich gaben, meisterlich und damit richtig beurteilt und gewertschätzt wurde? Ja, das war vorhin! Oder damals, als der Monteur da war. Jetzt aber stehen Sie hier nur so rum, und keiner weiß noch richtig was mit Ihnen anzufangen. Nur diese Hausfrau da, die dort sitzt, die … na ja, die halt nur da sitzt, aber auch nichts weiter macht.

Wie schwierig sich das spielen läßt, das Nichtstun an sich! Was soll man da als Schauspieler schon machen? Wir sind doch mitten auf einer Bühne, und alle Augen sind auf uns gerichtet! [Nun gut, man könnte wieder an die Außenpolitik denken ...] Wie wird diese kafkaeske Geschichte weitergehen, wie sollen wir das spielen und ausdrücken? Und gleichzeitig auch noch ausdenken, denn wir sind doch auch der Autor der Geschichte? Wir spielen das Stück im gleichen Moment schon, wo wir es uns noch ausdenken. Und das zum ersten Mal immerhin! In spielender Echtzeit. Donnerlüttchen! Wir denken es uns aus, weil wir genau wissen, daß das Ganze nur ein Traum ist, und zwar ein luzider. Also ein Klartraum. Daher können wir den Traum ja auch steuern – müssen ihn sogar steuern. Er entfaltet sich keineswegs nur von selbst.

Wir sind, und das ist das Schlimme als auch das Wunderbare daran, selbst völlig verantwortlich dafür, daß und wie es weitergeht. Und wir können uns gleichzeitig, je nachdem, wie wir es schaffen, die Handlung weiterlaufen zu lassen (und dabei zu allem Überfluß auch noch selbst die Waschmaschine perfekt zu mimen!), köstlich amüsieren.


Sehen Sie! Genau das meinte ich mit dem Titel. Jetzt bin ich wieder am Anfang der Mär angekommen, die Rohrschelle schließt sich, sozusagen. Jetzt bin ich genau an dem Punkt, wo ich mich perfekt und hochkonzentriert langweile (was natürlich ein Paradoxon ist!). Im Stück passiert nichts mehr, weil mir nichts mehr einfällt, wie es weitergehen könnte. (Vielleicht gleite ich ja schon langsam ins Aufwachen hinüber?) Gleichzeitig staune ich über diese unglaublich seltsame, irre und abgedrehte Geschichte, und bin begeistert von mir selbst, wie gut ich eine Waschmaschine darstellen kann. Noch dazu eine zukünftige aus der Vergangenheit, die defekt ist und eigentlich fast nichts mehr tut. Ich bin die Waschmaschine und langweile mich, weil ich nur noch rumstehe, und bin gleichzeitig das Publikum im Saal, das begeistert ist von dem Darsteller, der derart professionell und gekonnt und absolut authentisch eine nichtstuende, einfach nur rumstehene Waschmaschine spielt!

Tja.

Hm.

Das ist nun die ganze Geschichte. Leider hat sie keinen richtigen Schluß. Ich kann es momentan nicht ändern. Ich hoffe, sie gefällt Ihnen trotzdem ein wenig, unsere kleine Geschichte?

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Also gut, ich gebe noch ein kleines Feuerwerk dazu. Gratis.

pffffffff …. zzzschschschch … RRUNNNGGGGS-krrrrchch!!!